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Kapitel 8: Luther vor dem Reichstag
Ein neuer Kaiser, Karl V., hatte den deutschen Thron bestiegen,
und die römischen Legaten beeilten sich, um ihre Glückwünsche
darzubringen und den Monarchen zu bewegen, seine Macht gegen
die Reformation einzusetzen. Auf der andern Seite ersuchte ihn der
Kurfürst von Sachsen, dem der Kaiser zum großen Teil seine Krone
verdankte, keine Schritte gegen Luther zu unternehmen, bevor er ihn
gehört hätte. Der Kaiser sah sich auf diese Weise in eine sehr schwie-
rige Lage versetzt. Die Römlinge würden mit nichts Geringerem
als einem kaiserlichen Erlaß zufrieden sein, der Luther zum Tode
verurteilte. Der Kurfürst hatte nachdrücklich erklärt, weder Seine
Kaiserliche Majestät noch sonst jemand hätte nachgewiesen, daß
Luthers Schriften widerlegt seien, er verlange deshalb, daß Luther
unter sicherem Geleit vor gelehrten, frommen und unparteiischen
Richtern erscheine
Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die
Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbe-
steigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange
sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal soll-
ten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer
Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten
sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der
weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte be-
dacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit
an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge;
Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten
sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die
Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.
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Karl hatte zuvor den Kurfürsten angewiesen, Luther mit auf den
Reichstag zu bringen; er hatte ihn seines Schutzes versichert und ihm
eine freie Erörterung mit maßgebenden Personen zugesagt, um die
strittigen Punkte zu besprechen. Luther sah seinem Erscheinen vor
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Köstlin, „Martin Luther“, Bd. I 367,384
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