Seite 24 - Der gro

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Kapitel 1: Die Zerstörung Jerusalems
Vom Gipfel des Ölberges herab schaute Jesus auf Jerusalem.
Lieblich und friedvoll breitete sich die Landschaft vor ihm aus. Es
war die Zeit des Passahfestes, und aus allen Ländern hatten sich die
Kinder Jakobs versammelt, um dies große Nationalfest zu feiern.
Inmitten von Gärten, Weinbergen und grünen, mit Zelten der Pilger
übersäten Abhängen erhoben sich die terrassenförmig abgestuften
Hügel, die stattlichen Paläste und massiven Bollwerke der Haupt-
stadt Israels. Die Tochter Zion schien in ihrem Stolz zu sagen: „Ich
sitze als Königin ..., und Leid werde ich nicht sehen.“
Offenbarung
8,7
. Sie war so anmutig und wähnte sich der Gunst des Himmels
sicher wie ehedem, als der königliche Sänger ausrief: „Schön ragt,
empor der Berg Zion, des sich das ganze Land tröstet; ... die Stadt
des großen Königs.“
Psalm 48,3
. Unmittelbar vor ihm lagen die
prächtigen Gebäude des Tempels. Die Strahlen der sinkenden Sonne
ließen das schneeige Eis seiner marmornen Mauern aufblitzen und
leuchteten von dem goldenen Tor, dem Turm und der Zinne wider. In
vollendeter Schönheit stand Zion da, der Stolz der jüdischen Nation.
Welches Kind Israels konnte dieses Bild ohne Freude und Bewun-
derung betrachten! Doch Jesus dachte an etwas ganz anderes. „Als
er nahe hinzukam, sah er die Stadt an und weinte über sie.“
Lukas
19,41
.
In der allgemeinen Freude des triumphierenden Einzuges, wäh-
rend Palmzweige ihm entgegenwehten, fröhliche Hosiannarufe von
den Hügeln widerhallten und Tausende von Stimmen ihn zum König
ausriefen, überwältigte den Welterlöser ein plötzlicher und geheim-
nisvoller Schmerz. Der Sohn Gottes, der Verheißene Israels, des-
sen Macht den Tod besiegt und seine Gefangenen aus den Gräbern
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hervorgerufen hatte, weinte — keine Tränen gewöhnlichen Wehs,
sondern Tränen eines unaussprechlichen, seelischen Schmerzes.
Christi Tränen flossen nicht um seinetwillen, obgleich er genau
wußte, wohin sein Weg ihn führte. Vor ihm lag Gethsemane, der
Schauplatz seines bevorstehenden Leidens. Das Schaftor, durch das
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