Seite 119 - Das Leben Jesu (1973)

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Kapitel 14: „Wir haben den Messias gefunden“
Auf der Grundlage von
Johannes 1,19-51
.
Johannes der Täufer predigte und taufte bei Bethabara jenseits
des Jordans. Nicht weit von dieser Stelle hatte Gott einst den Lauf
des Flusses aufgehalten, bis das Volk Israel hindurchgegangen war.
In der Nähe dieses Ortes war auch die Feste Jericho durch himm-
lische Heere gestürmt worden. Alle diese Erinnerungen wurden
wieder wachgerufen und verliehen der Botschaft des Täufers auf-
sehenerregende Bedeutung. Würde der Gott, der in vergangenen
Zeiten so wunderbar gewirkt hatte, wiederum seine Macht für die
Befreiung Israels offenbaren? Diese Gedanken bewegten die Herzen
des Volkes, das sich täglich in großer Zahl an den Ufern des Jordans
versammelte.
Die Predigten des Täufers hatten einen so tiefen Eindruck auf
das Volk gemacht, daß die geistlichen Oberen nicht mehr darauf
verzichten konnten, sich mit ihnen zu beschäftigen. Jede öffentliche
Versammlung wurde von den Römern, unter deren Herrschaft die
Juden standen, mit Argwohn betrachtet, weil sie darin die Gefahr
einer Empörung erblickten, und jedes mögliche Anzeichen eines
Volksaufstandes erregte die Befürchtungen der jüdischen Obrigkeit.
Johannes hatte die Autorität des Hohen Rates nicht anerkannt und
diesen nicht um Erlaubnis für sein Wirken gefragt. Auch hatte er
ohne Ansehen der Person sowohl das Volk als auch seine Obersten,
Pharisäer und Sadduzäer, getadelt. Das Volk folgte ihm dennoch mit
Eifer und, wie es schien, mit wachsender Anteilnahme. Obgleich
Johannes beim Hohen Rat nie darum nachgesucht hatte, rechnete
ihn dieser als öffentlichen Lehrer unter seine Gerichtsbarkeit.
Dieser Körperschaft gehörten gewählte Mitglieder aus dem Prie-
sterstand, aus den Obersten und Lehrern des Volkes an. Der Ho-
hepriester war gewöhnlich der Vorsitzende. Alle Mitglieder dieses
Rates mußten Männer im besten Alter sein; gelehrte Männer, die
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nicht allein in der jüdischen Religion und Geschichte, sondern auch
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