Seite 407 - Das Leben Jesu (1973)

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Kapitel 45: Im Schatten des Kreuzes
Auf der Grundlage von
Matthäus 16,13-28
;
Markus 8,27-38
;
Lukas
9,18-27
.
Das Werk Christi auf Erden ging seiner Vollendung entgegen.
Klar umrissen lagen die Dinge der nächsten Zukunft vor Jesus.
Schon vor seiner Menschwerdung hatte er den ganzen Leidens-
weg übersehen, den er gehen mußte, um die Verlorenen zu retten. Er
wußte um den Schmerz, der seine Seele wie ein Schwert durchdrin-
gen würde, er kannte jede Beleidigung, die auf ihn gehäuft würde,
jede Entbehrung die er ertragen mußte — denn alles lag offen vor
ihm, noch ehe er seine Krone und sein königliches Gewand abgelegt,
noch ehe er den himmlischen Thron verlassen hatte, um seine Gott-
heit mit menschlicher Natur zu bekleiden. Er konnte seinen Weg von
der Krippe bis nach Golgatha verfolgen, und im Bewußtsein aller
kommenden Leiden sagte er: „Siehe, ich komme; im Buch ist von
mir geschrieben: Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein
Gesetz habe ich in meinem Herzen.“
Psalm 40,8.9
.
Jesus hatte den Erfolg seiner Sendung stets vor Augen; sein irdi-
sches Leben, obgleich voller Arbeit und Selbstaufopferung, wurde
durch die Aussicht erhellt, daß sein Werk nicht vergebens sein wür-
de. Denn indem er sich selbst für das Leben der Menschen dahingab,
würde er die Welt zur Treue gegen Gott zurückgewinnen. Obgleich
er erst die Bluttaufe empfangen mußte und die Sünden der Welt
schwer auf seiner Seele lasteten, obgleich der Schatten unsagbaren
Schmerzes auf ihn fiel, erwählte er dennoch um der Freude willen,
die vor ihm lag, das Kreuz und achtete der Schande nicht.
Seinen Jüngern waren die kommenden Ereignisse noch unbe-
kannt; aber die Zeit war nahe, da sie Zeugen seines letzten Ringens
werden mußten. Sie mußten sehen, wie der, den sie geliebt und dem
sie vertraut hatten, in die Hände seiner Feinde überantwortet und
ans Kreuz geschlagen würde. Bald mußte er sie verlassen. Dann
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mußten sie der Welt allein gegenübertreten — ohne den Trost seiner
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