Seite 492 - Das Leben Jesu (1973)

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Kapitel 54: Der barmherzige Samariter
Auf der Grundlage von
Lukas 10,25-37
.
In dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter veranschaulicht
Christus das Wesen wahrer Religion und zeigt, daß diese nicht darin
besteht, Lehrsätze und Glaubensbekenntnisse von sich zu geben
oder religiöse Zeremonien zu erfüllen, sondern Werke der Liebe zu
tun, nach dem Wohl des Nächsten zu streben und in wahrer Güte zu
handeln.
Als Jesus das Volk lehrte, „da stand ein Schriftgelehrter auf,
versuchte ihn und sprach: Meister, was muß ich tun, daß ich das
ewige Leben ererbe“?
Lukas 10,25
. In atemloser Spannung erwar-
teten die versammelten Priester und Rabbiner Jesu Antwort. Sie
hofften, durch diese Frage dem Herrn eine gute Falle gestellt zu ha-
ben; aber der Heiland überging diese Streitfrage und veranlaßte den
Fragenden, sich selbst die Antwort zu geben. „Was steht im Gesetz
geschrieben?“ fragte er. „Wie liesest du?“ Die Juden beschuldigten
Jesus ständig, daß er das auf Sinai gegebene Gesetz geringschätze;
dabei gründete er die Frage der Seligkeit gerade auf das Halten der
göttlichen Gebote.
Der Schriftgelehrte erwiderte: „Du sollst Gott, deinen Herrn,
lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften
und von ganzem Gemüte und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Jesus sprach: „Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben.“
Lukas 10,26-28
.
Der Schriftgelehrte war mit der Stellung und den Werken der
Pharisäer nicht zufrieden. Er hatte die Schriften erforscht mit dem
Verlangen, ihre eigentliche Bedeutung zu verstehen. Er war an der
Sache entscheidend interessiert und hatte aufrichtig gefragt: „Was
muß ich tun?“ In seiner Antwort, in der er erklärte, was das Gesetz
forderte, überging er die Vielzahl der zeremoniellen und rituellen
Vorschriften. Er legte diesen keinerlei Wert bei, statt dessen erwähnte
er die beiden großen Grundsätze, in denen das ganze Gesetz und
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