Seite 601 - Das Leben Jesu (1973)

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Kampf
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„Da Jesus aber sah, daß er verständig antwortete, sprach er zu ihm:
Du bist nicht ferne von dem Reich Gottes.“
Markus 12,34
.
Der Schriftgelehrte war dem Reich Gottes nahe, weil er erkannt
hatte, daß Taten der Gerechtigkeit Gott angenehmer sind als Bran-
dopfer und Schlachtopfer. Aber noch vermochte er nicht die Gött-
lichkeit Christi zu erfassen und durch den Glauben an ihn die Kraft
zu erhalten, die Werke der Gerechtigkeit auch zu vollbringen. Die
rituellen Handlungen blieben so lange wertlos, als sie nicht durch
den lebendigen Glauben mit Christus verbunden waren. Selbst das
Sittengesetz verfehlt seinen Zweck, wenn es nicht in seiner Bezie-
hung zum Heiland verstanden wird. Wiederholt hatte Christus darauf
hingewiesen, daß das Gesetz seines Vaters einen tieferen Gehalt ha-
be als bloßes Erteilen obrigkeitlicher Befehle. Im Gesetz wird der
gleiche Grundsatz verkörpert wie im Evangelium. Das Gesetz weist
den Menschen auf seine Pflichten hin und zeigt ihm seine Schuld.
Auf Christus muß er schauen, wenn er Vergebung erlangen und Kraft
erhalten will, das zu tun, was das Gesetz gebietet.
Die Pharisäer umstanden Jesus ganz dicht, als er die Frage des
Schriftgelehrten beantwortete. Jetzt wandte er sich ihnen zu und
fragte sie: „Was denkt ihr von dem Christus? Wessen Sohn ist er?“
Matthäus 22,42
. Diese Frage sollte ihren Glauben an den Messias
prüfen; sie sollte zeigen, ob sie ihn nur für einen Menschen oder
für den Sohn Gottes hielten. Ein ganzer Chor antwortete darauf:
„Davids!“
Matthäus 22,42
. Das war der Titel, den die Propheten dem
Messias verliehen hatten. Als Jesus durch seine machtvollen Wunder
seine Göttlichkeit offenbarte, als er Kranke heilte und Tote aufer-
weckte, hatte sich das Volk gefragt: „Ist das nicht Davids Sohn?“
die kanaanäische Frau, der blinde Bartimäus und viele andere hatten
ihn um Hilfe angefleht: „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich
mein!“
Matthäus 15,22
. Bei seinem Einzug in Jerusalem wurde er
mit den Freudenrufen begrüßt: „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt
sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!“
Matthäus 21,9
. Die
kleinen Kinder im Tempel ließen an jenem Tage diese frohen Rufe
noch einmal widerhallen. Viele aber, die Jesus als Sohn Davids be-
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zeichneten, erkannten seine Göttlichkeit nicht. Sie begriffen nicht,
daß Davids Sohn zugleich der Sohn Gottes war.
Als Antwort auf die Aussage der Pharisäer, daß Christus der
Sohn Davids sei, fragte Jesus: „Wie kann ihn dann David im Geist