Seite 681 - Das Leben Jesu (1973)

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Kapitel 74: Gethsemane
Auf der Grundlage von
Matthäus 26,36-56
;
Markus 14,32-50
;
Lukas 22,39-53
;
Johannes 18,1-12
.
Langsam wanderte der Heiland mit seinen Jüngern nach dem
Garten Gethsemane. Der Passah-Mond stand hell und voll am wol-
kenlosen Himmel; die Stadt der Pilgerzelte ruhte in tiefem Schwei-
gen.
Jesus hatte sich bis hierher angelegentlich mit seinen Jüngern
unterhalten und sie unterwiesen. Je näher sie jedoch dem Garten
Gethsemane kamen, desto schweigsamer wurde er. Oft hatte er sich
an diesen Ort zurückgezogen, um sich auszuruhen und um neue Kraft
und Sammlung im Gebet zu finden; noch nie aber war er mit einem
so bekümmerten Herzen hierhergekommen wie in dieser Nacht
seines letzten Ringens. Während seines ganzen Erdenlebens war er
im Licht der Gegenwart Gottes gewandelt, und selbst im Zwiespalt
mit Menschen, die vom Geist Satans besessen waren, konnte er
sagen: „Der mich gesandt hat, ist mit mir. Der Vater läßt mich nicht
allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.“
Johannes 8,29
. Jetzt
aber schien er von dem bewahrenden Licht der Gegenwart Gottes
ausgeschlossen zu sein; er wurde nun zu den Übeltätern gerechnet.
Er mußte die Schuld der gefallenen Menschheit tragen; auf ihn, der
von keiner Sünde wußte, mußte alle unsere Missetat gelegt werden.
So schrecklich erschien ihm die Sünde, so groß war die Last der
Schuld, die er zu tragen hatte, daß er befürchtete, auf ewig von der
Liebe des Vaters ausgeschlossen zu werden. Als er empfand, wie
furchtbar der Zorn Gottes wegen der Übertretung seiner Gebote ist,
rief er aus: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.“
Matthäus 26,38
.
Als sie den Garten erreichten, bemerkten die Jünger die Verände-
rung, die mit ihrem Herrn vor sich gegangen war; sie hatten ihn noch
nie so über alle Maßen traurig und still gesehen. Je weiter er ging,
desto tiefer wurde diese ungewöhnliche Betrübnis; dennoch wagten
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sie nicht, ihn nach der Ursache seines Kummers zu fragen. Seine
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