Seite 710 - Das Leben Jesu (1973)

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Kapitel 76: Judas
Die Geschichte des Judas zeigt das traurige Ende eines Lebens,
das ebensogut bei Gott hätte Annahme finden können. Wäre Judas
vor seiner letzten Reise nach Jerusalem gestorben, dann hätte man
ihn nicht nur als einen Mann angesehen, würdig eines Platzes unter
den Zwölfen, sondern man hätte ihn auch stark vermißt. Der Ab-
scheu, der sich in allen Jahrhunderten mit seinem Namen verband,
wäre ohne die Geschehnisse am Ende seines Lebens gar nicht erst
aufgekommen. Aber sein wahres Wesen wurde der Welt enthüllt, all
denen zur Warnung, die gleich ihm an heiligen Gütern zum Verräter
werden sollten.
Kurz vor dem Passahfest hatte Judas seinen Vertrag mit den
Priestern erneuert, um ihnen Jesus in die Hände zu spielen. Es
war verabredet worden, den Heiland an einem der einsamen Orte,
wo er gewöhnlich einige Zeit in tiefem Nachdenken und im Gebet
verbrachte, gefangenzunehmen. Seit dem Fest im Hause Simons
war Judas Gelegenheit gegeben, über sein Vorhaben nachzudenken,
das auszuführen er sich verpflichtet hatte; doch seine Absicht blieb
unverändert. Für dreißig Silberlinge — den Preis für einen Sklaven
— überantwortete er den Herrn der Herrlichkeit der Schmach und
dem Tode.
Judas hatte von Natur aus eine besondere Vorliebe für Geld; aber
er war nicht immer so schlecht gewesen, um einer solchen Tat wie
dieser fähig zu sein. Er hatte den bösen Geist der Habsucht so lange
genährt, bis dieser die beherrschende Antriebskraft seines Lebens
wurde. Die Liebe zum Mammon gewann die Oberhand über die
Liebe zu Christus. Indem er zum Sklaven eines Lasters wurde, gab
er sich selbst in die Hände Satans, um in allen Sünden versucht zu
werden.
Judas hatte sich den Jüngern angeschlossen, als Jesus eine große
Menge nachfolgte. Die Lehren des Meisters bewegten die Herzen
der Menschen, als sie im Innersten überwältigt seinen Worten lausch-
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ten, die er in der Synagoge, am Meeresufer und am Bergeshang zu
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