Seite 769 - Das Leben Jesu (1973)

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In Josephs Grab
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man unmittelbar darauf eine Stimme sagen: „Wahrlich, dieser ist
Gottes Sohn gewesen!“
Matthäus 27,54
.
Diese Worte wurden keineswegs im Flüsterton gesprochen. Al-
ler Augen wandten sich um und versuchten zu erkennen, woher sie
kamen. Wer hatte das gesagt? Kein anderer als der Hauptmann, der
römische Soldat. Die göttliche Geduld des Heilandes, sein plötz-
licher Tod, den Siegesruf noch auf den Lippen, hatte den Heiden
sehr beeindruckt; er erkannte in dem verwundeten, zerschlagenen
Körper am Kreuz die Gestalt des Sohnes Gottes. Er konnte nicht
anders, er mußte seinen Glauben bekennen! So wurde aufs neue ein
Beweis dafür gegeben, daß das Ringen des Erlösers nicht erfolglos
war. An seinem Todestage bekannten sich drei Männer von sehr un-
terschiedlicher Art und Stellung zu ihrem Heiland: der Befehlshaber
der römischen Wache; Simon, der Träger des Kreuzes Jesu und der
Übeltäter am Kreuz.
Als der Abend hereinbrach, lag eine unnatürliche Stille über
Golgatha. die Menschen zerstreuten sich, und viele kehrten nach
Jerusalem ganz anderen Sinnes zurück, als sie es am Morgen verlas-
sen hatten. Viele waren aus Neugierde zur Kreuzigung gekommen
und nicht aus Haß gegen Christus; doch sie glaubten den Anschuldi-
gungen der Priester und sahen in Christus einen Übeltäter. Von der
Erregung der Masse angestachelt, hatten sie in die Schmährufe ge-
gen Jesus mit eingestimmt. Als sich aber die Erde plötzlich in dichte
Finsternis hüllte und ihr Gewissen sie hart anklagte, fühlten sie ihr
Unrecht. Während dieser schrecklichen Finsternis hörte man keiner-
lei Scherze oder spöttisches Gelächter mehr, und als sich das Dunkel
lichtete, gingen sie in ernstem Schweigen wieder nach Hause. Sie
hatten erkannt, daß die Beschuldigungen der Priester falsch waren,
daß Jesus kein Betrüger war. Als Petrus einige Wochen danach am
Pfingsttage predigte, befanden auch sie sich unter den Tausenden,
die an Jesus Christus gläubig wurden.
Die Obersten der Juden aber blieben von dem Erlebten unberührt.
Ihr Haß auf Jesus hatte nicht nachgelassen. Die Dunkelheit, die
während der Kreuzigung die Erde überzogen hatte, war nicht dichter
gewesen als die geistliche Finsternis, die noch immer die Sinne
der Priester und Obersten umgab. Ein Stern hatte Christi Geburt
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verkündet und die Weisen zum Stall geführt, in dem Jesus lag. Die
himmlischen Heerscharen hatten den Heiland verkündet und ihm