Seite 782 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
mels hatte dem Gefangenen die Freiheit wiedergegeben. Würde man
auch Berge über Berge auf sein Grab getürmt haben, nichts hätte ihn
daran hindern können, das Grab zu verlassen.
Beim Anblick der Engel und des verklärten Heilandes waren die
römischen Wächter ohnmächtig geworden und lagen wie tot am Bo-
den. Als dann das himmlische Gefolge vor ihren Augen verborgen
wurde, erhoben sie sich und rannten, so schnell ihre zitternden Glie-
der sie tragen konnten, zum Ausgang des Gartens. Wie Trunkene
taumelten sie in die Stadt und erzählten allen, denen sie begegneten,
diese wunderbare Neuigkeit. Sie waren auf dem Wege zu Pilatus;
aber ihr Bericht war bereits der jüdischen Obrigkeit überbracht wor-
den, und die Hohenpriester und Obersten verlangten sie zuerst zu
sehen. Die Soldaten boten einen seltsamen Anblick. Zitternd vor
Furcht, mit farblosen Gesichtern, berichteten sie von der Auferste-
hung Jesu. Sie erzählten alles genauso, wie sie es erlebt hatten; es
war ihnen keine Zeit geblieben, etwas anderes zu denken oder zu
sagen als die Wahrheit. Schmerzlich bewegt sagten sie: Es war der
Sohn Gottes, der gekreuzigt worden ist. Wir haben gehört, daß ihn
ein Engel als Majestät des Himmels, als König der Herrlichkeit
ankündigte.
Totenblässe legte sich auf die Gesichter der Priester Kaiphas
versuchte zu sprechen; seine Lippen bewegten sich, aber er brachte
keinen Laut heraus. Die Soldaten waren schon im Begriff, den Raum
wieder zu verlassen, als eine Stimme sie zurückhielt. Kaiphas hatte
endlich seine Sprache wiedergefunden. Wartet, wartet! beschwor er
sie. Erzählt niemandem, was ihr gesehen habt.
Sie wurden beauftragt, unwahre Mitteilungen zu machen. „Sa-
get“, so bedeuteten ihnen die Priester, „seine Jünger kamen des
Nachts und stahlen ihn, während wir schliefen.“
Matthäus 28,13
.
Damit betrogen die Priester sich selbst; denn wie konnten die Sol-
daten aussagen, daß die Jünger Jesu Leichnam gestohlen hätten,
während sie schliefen? Wie konnten sie wissen, was sich während
ihres Schlafes ereignet hatte? Und wenn die Jünger nachweislich
den Leichnam Jesu gestohlen hätten, wären die Priester nicht die
ersten gewesen, sie zu verurteilen? Oder wenn die Hüter wirklich am
Grabe geschlafen hätten, wären die Priester nicht zuerst bei Pilatus
vorstellig geworden, um diese anzuklagen?
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