Seite 149 - Das Leben Jesu (1973)

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In seinem Tempel
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Er sah in diesem Geschehen die Zerstreuung des ganzen jüdischen
Volkes durch dessen eigene Bosheit und Unbußfertigkeit versinnbil-
det.
[Der folgende Absatz fehlt in der deutschen Übersetzung und ist
nach dem englischen Original zitiert.] Warum flohen die Priester aus
dem Tempel? Warum behaupteten sie nicht ihren Platz? Derjenige,
der ihnen zu gehen befahl, war der Sohn eines Zimmermanns, ein
armer Galiläer ohne irdischen Rang oder Macht. Weshalb widerstan-
den sie ihm nicht? Warum verließen sie ihren Besitz, der so übel
erworben war, und flohen auf die Anweisung des einen hin, dessen
äußere Erscheinung so demütig war?
Christus sprach mit der Autorität eines Königs, und in seinem
Auftreten und in dem Klang seiner Stimme lag etwas, dem sie nicht
widerstehen konnten. Jesu gebietende Worte offenbarten ihnen ihren
wirklichen Zustand als Heuchler und Diebe. Als göttliches Wesen
durch die Menschheit Christi hindurchleuchtete, sahen sie nicht nur
Entrüstung auf seinem Angesicht, sie begriffen auch die Bedeutung
seiner Worte. Sie hatten das Empfinden, vor dem Thron des ewigen
Richters zu stehen und ihr Urteil für Zeit und Ewigkeit zu hören.
Eine Zeitlang waren sie überzeugt, daß Christus ein Prophet sei.
Viele hielten ihn sogar für den Messias. Der Heilige Geist erinnerte
sie an die Aussprüche der Propheten über Christus. Würden sie sich
zu dieser Überzeugung bekennen?
Sie wollten nicht Buße tun. Sie kannten Christi Mitleid mit den
Armen; sie wußten, daß sie sich durch ihr Verhalten dem Volk ge-
genüber der Erpressung schuldig gemacht hatten, und weil Christus
ihre Gedanken erkannte, haßten sie ihn. Sein öffentlicher Tadel de-
mütigte ihren Stolz, und seinem wachsenden Einfluß auf das Volk
begegneten sie mit eifersüchtigen Empfindungen. Sie beschlossen
deshalb, ihn zur Rede zu stellen hinsichtlich der Macht, in deren
Namen er sie hinausgetrieben hatte, und ihn zu fragen, wer ihm diese
Macht gegeben habe.
Langsam und nachdenklich, aber mit Haß im Herzen, kehrten
sie zum Tempel zurück. Aber welch eine Veränderung war in der
Zwischenzeit vor sich gegangen! Als sie die Flucht ergriffen hatten,
waren die Armen zurückgeblieben. Sie blickten jetzt Jesus an, dessen
Angesicht Liebe und Mitgefühl ausdrückte. Mit Tränen in den Augen
sagte er zu den Zitternden, die ihn umstanden: Fürchtet euch nicht!