Seite 152 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
begriffen sie ihn nicht. Sie faßten sein Wort so auf, als bezöge es sich
allein auf den Tempel in Jerusalem. Darum erklärten sie unwillig:
„Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut; und du willst
ihn in drei Tagen aufrichten?“
Johannes 2,20
. Dabei empfanden sie,
daß Jesus ihren Unglauben bestätigt habe, und sie fühlten sich nur
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noch mehr darin bestärkt, ihn zu verwerfen.
Christus hatte nicht beabsichtigt, daß diese seine Worte von den
ungläubigen Juden und auch nicht von seinen Jüngern zu jener Zeit
verstanden werden sollten. Er war sich vielmehr darüber im klaren,
daß sie von seinen Feinden falsch ausgelegt und gegen ihn selbst
gerichtet würden. Während seines Verhörs sollten sie als Anklage
formuliert und auf Golgatha als Verhöhnung gegen ihn gewandt
werden. Hätte er seine Worte erklärt, würden die Jünger von seinem
Leiden erfahren haben, und dies hätte ihnen in einem Ausmaß Kum-
mer bereitet, den sie bis dahin noch nicht zu ertragen vermochten.
Ferner hätte eine Erklärung den Juden vorzeitig enthüllt, welche
Auswirkungen ihre Vorurteile und ihr Unglaube einmal haben wür-
den. Schon hatten sie einen Weg eingeschlagen, den sie beharrlich so
lange verfolgen würden, bis man Jesus als Lamm zur Schlachtbank
führte.
Christus sprach diese Worte zumWohle derer, die in späterer Zeit
an ihn glaubten, wußte er doch, daß sie wiederholt würden. Während
des Passahfestes sollten sie Tausenden zu Ohren kommen und in alle
Teile der Welt getragen werden. Nach seiner Auferstehung von den
Toten würde dann ihre Bedeutung offenkundig sein und für viele zu
einem schlüssigen Beweis seiner Göttlichkeit werden.
Selbst Jesu Jünger konnten seine Lehren oft nicht begreifen, weil
sie sich in geistlicher Finsternis bewegten. Doch wurden ihnen viele
seiner Aussagen durch die nachfolgenden Ereignisse verständlich
gemacht. Als er sich nicht mehr bei ihnen befand, wurzelten seine
Worte fest in ihren Herzen.
Auf den Jerusalemer Tempel bezogen, hatten Jesu Worte „Bre-
chet diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten“
einen tieferen Sinn, als seine Hörer erfaßten. Christus war Grundlage
und Leben des Tempels. Der darin vollzogene Dienst versinnbildete
das Opfer des Sohnes Gottes. Das Priesteramt war einst eingesetzt
worden, um die Vermittlertätigkeit Christi ihrem Wesen nach darzu-
stellen. Der gesamte Ablauf des Opferdienstes wies im voraus auf