Seite 211 - Das Leben Jesu (1973)

Basic HTML-Version

Gefangenschaft und Tod des Johannes
207
Als Vorläufer des Messias war Johannes „mehr als ein Prophet“.
Matthäus 11,9-11
;
Maleachi 3,1
. Die Propheten hatten das Kommen
Christi ja nur aus der Ferne schauen können; Johannes dagegen
war es gegeben, ihn selber zu sehen, die Zustimmung des Himmels
zu Jesu Messianität zu hören und ihn vor Israel als den von Gott
Gesandten darzustellen. Gleichwohl erklärte Jesus: „Der aber der
Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er.“
Matthäus 11,11
.
Der Prophet Johannes war das Bindeglied zwischen den beiden
Heilsordnungen. Als Gottes Beauftragter trat er hervor und zeigte
die Beziehung von Gesetz und Propheten zur christlichen Heils-
ordnung auf. Er war das geringere Licht, dem ein größeres folgen
sollte. Das Verständnis des Johannes war durch den Heiligen Geist
erleuchtet, so daß er Licht über sein Volk ausstrahlen konnte; aber
kein anderes Licht schien jemals oder wird jemals auf gefallene
Menschen so klar scheinen wie jenes, das von den Lehren und dem
Beispiel Jesu ausging. Christus und seine Sendung waren in ihrer
Darstellung durch die schattenhaften Opfer nur unklar verstanden
worden. Selbst Johannes besaß noch keine rechte Vorstellung vom
künftigen unsterblichen Leben, das durch den Heiland geschenkt
wird.
Abgesehen von der Freude, die Johannes in seiner Aufgabe fand,
war sein Leben voller Sorge. Außer in der Wüste wurde seine Stim-
me nur selten vernommen. Er trug das Los der Einsamkeit. Und es
war ihm nicht vergönnt, die Früchte seiner Arbeit zu schauen. Ihm
wurde nicht erlaubt, mit Christus zusammen zu sein und Zeuge der
Bekundungen göttlicher Macht zu werden, die das größere Licht
begleiteten. Er durfte nicht sehen, wie Blinde das Augenlicht wie-
dererhielten, wie Kranke geheilt und Tote zum Leben auferweckt
wurden. Das Licht, das in jedem Wort Christi aufstrahlte und seinen
Glanz auf die Verheißungen der Prophetie warf, hat er nicht geschaut.
Der niedrigste Jünger, der Christi machtvolle Werke sah und seine
Worte hörte, war in dieser Hinsicht Johannes dem Täufer gegenüber
bevorzugt und wurde daher von Jesus als „größer“ bezeichnet.
Durch die großen Scharen, die der Predigt des Johannes ge-
lauscht hatten, wurde der Täufer im ganzen Land bekannt. Alle
nahmen tiefen Anteil am Ausgang seiner Gefangenschaft. Sein ma-
kelloses Leben und die ihn begünstigende starke öffentliche Mei-
nung führten zu der Annahme, daß keine ernsten Maßnahmen gegen
[209]