Seite 213 - Das Leben Jesu (1973)

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Gefangenschaft und Tod des Johannes
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dem Gedanken, Johannes zu töten, wurde der König von Entsetzen
gepackt. Aber er hatte sein Wort verpfändet und wollte nicht wan-
kelmütig erscheinen oder als hätte er übereilt gehandelt. Zu Ehren
seiner Gäste hatte er den Eid geschworen. Wenn auch nur einer von
ihnen ein Wort gegen die Einlösung seines Versprechens vorgebracht
hätte, so würde er den Propheten liebend gern geschont haben. Er
gab ihnen Gelegenheit, zugunsten des Gefangenen zu sprechen. Sie
waren weit gereist, um der Predigt des Johannes zu lauschen. Sie
kannten ihn als Mann ohne Makel und als Diener Gottes. Obschon
die Bitte des Mädchens sie empörte, waren sie doch zu betrunken,
Einspruch zu erheben. Keine Stimme wurde laut, das Leben des von
Gott gesandten Boten zu retten. Diese Männer bekleideten hohe Ver-
trauensämter im Lande, und auf ihnen ruhte schwere Verantwortung;
gleichwohl hatten sie sich der Schwelgerei und dem Trunk hinge-
geben, bis ihre Sinne umnebelt waren. Die leichtfertigen Szenen
aus Musik und Tanz hatten ihre Köpfe verwirrt und ihr Gewissen
eingeschläfert. Durch ihr Schweigen sprachen sie das Todesurteil
über den Propheten Gottes und stillten damit den Rachedurst einer
lasterhaften Frau.
Herodes wartete vergeblich darauf, von seinem Eid entbunden zu
werden. Dann erteilte er widerstrebend den Befehl zur Hinrichtung
des Propheten. Bald wurde das Haupt des Johannes vor den Kö-
nig und seine Gäste gebracht. Für immer waren die Lippen dessen
verschlossen, der Herodes gewissenhaft vor der Fortführung seines
sündigen Lebens gewarnt hatte. Nie mehr sollte man hören, wie
diese Stimme Menschen zur Umkehr rief. Das Gelage einer Nacht
hatte das Leben eines der größten Propheten gekostet.
Wie oft schon fiel das Leben Unschuldiger der Unmäßigkeit de-
rer zum Opfer, die eigentlich Wächter des Rechtes hätten sein sollen!
Wer den berauschenden Trank an seine Lippen führt, lädt sich damit
die Verantwortung für alles Unrecht auf, das er unter der betörenden
Macht berauschender Getränke begehen kann. Durch die Betäubung
seiner Sinne beraubt er sich der Fähigkeit, ruhig zu urteilen sowie
Recht und Unrecht klar zu unterscheiden. Er ermöglicht es Satan,
durch ihn Unschuldige zu unterdrücken und zu vernichten. „Der
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Wein macht Spötter, und starkes Getränk macht wild; wer davon
taumelt, wird niemals weise.“
Sprüche 20,1
. Dann kann man sagen:
„Das Recht ist zurückgewichen ... und wer vom Bösen weicht, muß