Seite 354 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
der Täufer; der ist von den Toten auferstanden, deshalb wirken in ihm
solche Kräfte.“
Matthäus 14,2
. So sprach Herodes, und er wünschte
Jesus zu sehen. Schon lange quälte ihn ständige Furcht, daß geheime
revolutionäre Kräfte am Werke seien, um ihn vom Thron zu stürzen
und die Juden vom römischen Joch zu befreien. Unter dem Volk
herrschten Unzufriedenheit und Empörung. Es war augenscheinlich,
daß Jesu öffentliches Wirken in Galiläa nicht lange andauern konnte.
Seine Leidenszeit rückte immer näher, und er sehnte sich danach,
für eine Weile die Unruhe der Menge zurückzulassen.
Betrübten Herzens hatten die Jünger des Johannes seinen ver-
stümmelten Leib beerdigt „und kamen und verkündeten das Jesus“.
Matthäus 14,12
. Diese Jünger waren auf Jesus nicht gut zu sprechen
gewesen, weil es so ausgesehen hatte, als machte er das Volk von
Johannes abspenstig. Gemeinsam mit den Pharisäern hatten sie ihn
wegen seiner Teilnahme am Fest des Zöllners Matthäus angegriffen.
Seine göttliche Mission war von ihnen angezweifelt worden, weil
er den Täufer nicht befreit hatte. Doch nun war ihr Lehrer tot, und
sie sehnten sich in ihrem tiefen Kummer nach Trost und für den
Fortgang ihres Dienstes nach Führung. Deshalb kamen sie zu Jesus
und vereinigten ihre Sache mit der seinigen. Auch sie benötigten
eine Zeit ruhiger Gemeinschaft mit dem Heiland.
In der Nähe von Bethsaida, an der nördlichen Seite des Sees,
lag eine einsame Gegend, die gerade jetzt im schönsten Frühlings-
grün prangte und dem Herrn mit seinen Jüngern eine willkommene
Zufluchtsstätte bot. Sie setzten über den See, um diesen Platz zu
erreichen. Hier würden sie den lauten, lärmenden Verkehrsstraßen
und dem Gewühl und der Unruhe der Stadt entrückt sein. Schon die
ruhige, schöne Natur bot genug Erholung und eine angenehme Ab-
wechslung für die Sinne. Hier konnten sie den Worten Jesu lauschen,
ohne die ärgerlichen Unterbrechungen, Gegenreden und Anklagen
der Schriftgelehrten und Pharisäer hören zu müssen; hier konnten sie
für kurze Zeit die köstliche Gemeinschaft mit dem Herrn wahrhaft
genießen.
Die Ruhe, die sich Jesus mit seinen Jüngern gönnte, bedeutete
nicht etwa Nachsicht gegen sich selbst. Die Zeit, die sie in der
Zurückgezogenheit verbrachten, war auch nicht mit Zerstreuungen
ausgefüllt; vielmehr redeten sie gemeinsam über das Werk Gottes
und über die Möglichkeit, ihm zu größerer Wirksamkeit zu verhelfen.
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