Seite 437 - Das Leben Jesu (1973)

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Wer ist der Größte?
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der verlorenen, schwachen, verachteten und verlachten Menschen
wirkt und dabei von Stadt zu Stadt zieht, bis er seinen Auftrag erfüllt
hat. Und wenn wir ihn in Gethsemane erblicken, wo sein Schweiß in
großen Blutstropfen herabfällt, oder am Kreuz, wo er im Todeskampf
stirbt, dann trachten wir nicht länger nach Lob. Ein Blick auf Jesus
beschämt uns wegen unserer Gemütskälte, Trägheit und Selbstsucht.
Wir sind dann bereit, alles oder nichts zu sein, so daß wir unserem
Meister von ganzem Herzen dienen können. Froh werden wir Jesus
unser Kreuz nachtragen und Versuchung, Schande oder Verfolgung
um seinetwillen ertragen.
„Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Unvermögen
tragen und nicht uns selber zu Gefallen leben.“
Römer 15,1
. Nie-
mand, der an Christus glaubt, sollte geringgeschätzt werden, mag
sein Glaube auch schwach sein und seine Schritte unsicher wie die
eines kleinen Kindes. Durch all das, wodurch wir anderen gegen-
über im Vorteil sind — z.B. Erziehung, Bildung, Charaktergröße,
christliches Verhalten, religiöse Erfahrung — sind wir Schuldner der
weniger Begünstigten. Soweit es in unserer Macht steht, sollen wir
ihnen dienen. Sind wir stark, dann sollen wir die Hände der Schwa-
chen stützen. Engel der Herrlichkeit, die jederzeit das Antlitz des
Vaters im Himmel schauen, freuen sich, diesen „Kleinen“ dienen zu
dürfen. Furchtsame Seelen, die noch unangenehme Wesenszüge an
sich haben, sind ihnen besonders anvertraut worden. Die Engel sind
immer dort anwesend, wo sie am dringendsten gebraucht werden,
bei denen, die am härtesten gegen das eigene Ich kämpfen müssen
und deren Umgebung am trostlosesten ist. An diesem Dienst sollen
die wahren Nachfolger Christi teilhaben.
Falls sich einer dieser Kleinen dazu hinreißen läßt, dir Unrecht
zuzufügen, dann ist es deine Aufgabe, ihn wieder zurechtzubringen.
Warte nicht, bis er den ersten Versuch zur Versöhnung unternimmt.
„Was meint ihr?“ fragt Jesus. „Wenn irgendein Mensch hundert
Schafe hätte und eins unter ihnen sich verirrte: läßt er nicht die
neunundneunzig auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte?
Und wenn sich‘s begibt, daß er‘s findet, wahrlich, ich sage euch, er
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freut sich darüber mehr als über die neunundneunzig, die nicht verirrt
sind. Also ist‘s auch bei eurem Vater im Himmel nicht der Wille,
daß eins von diesen Kleinen verloren werde.“
Matthäus 18,12-14
.