Seite 438 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
In der Gesinnung der Sanftmut, die darauf achtet, „daß du nicht
auch versucht werdest“ (
Galater 6,1
), geh zu dem Irrenden und „hal-
te es ihm vor zwischen dir und ihm allein“.
Matthäus 18,15
. Setze
ihn nicht dadurch der Schande aus, daß du andern sein Vergehen
unterbreitest. Verunehre Christus nicht dadurch, daß du die Sünde
oder den Irrtum eines Menschen, der den Namen Christi trägt, der
Öffentlichkeit preisgibst. Oftmals muß man dem Irrenden offen die
Wahrheit sagen; er muß veranlaßt werden, seinen Irrtum einzuse-
hen, damit er sich ändern kann. Du bist aber nicht dazu berufen,
ihn zu richten oder zu verurteilen. Versuche auch nicht, dich selbst
zu rechtfertigen, sondern hilf ihm, sich zu bessern. Seelische Wun-
den müssen besonders rücksichtsvoll und mit äußerstem Feingefühl
behandelt werden. Nur eine Liebe, wie sie von dem Leidensmann
auf Golgatha ausstrahlt, kann hier helfen. Voller Mitleid soll der
Bruder mit dem Bruder umgehen, und er darf wissen, daß er im Falle
des Erfolges eine „Seele vom Tode erretten und ... eine Menge von
Sünden“ bedecken konnte.
Jakobus 5,20
.
Doch auch diese Mühe mag nutzlos sein. In solchem Falle sagte
Jesus: „Nimm noch einen oder zwei zu dir.“
Matthäus 18,16
. Mögli-
cherweise hat ihr gemeinsamer Einfluß dort Erfolg, wo der einzelne
erfolglos geblieben war. Da sie in der Auseinandersetzung neutral
sind, werden sie wahrscheinlich auch unparteiisch handeln. Dadurch
aber erhält ihr Rat bei dem Irrenden größeres Gewicht.
Will er jedoch auch auf sie nicht hören, dann, aber auch erst dann,
soll die Angelegenheit der Gesamtheit der Gläubigen unterbreitet
werden. Die Gemeindeglieder als Stellvertreter Christi sollen sich
im Gebet vereinen und in aller Liebe darum bitten, daß der Missetä-
ter sich bessern möge. Der Heilige Geist wird durch seine Diener
reden und den Irrenden auffordern, zu Gott zurückzukehren. Der
Apostel Paulus sagt im Auftrage Gottes: „Gott vermahnt durch uns;
so bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott!“
2.Korinther 5,20
. Wer diese gemeinsamen Vorschläge ablehnt, der
hat das Band zerrissen, daß ihn mit Christus verknüpfte, und sich
von der Gemeinde losgesagt. Hinfort, so sagt Christus, „sei er dir
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wie ein Heide und Zöllner“.
Matthäus 18,17
. Man soll aber nicht
meinen, daß er damit von der Gnade Gottes abgeschnitten sei. Seine
bisherigen Brüder sollen ihn nicht verachten oder vernachlässigen,
sondern ihn mit Güte und aufrichtigem Mitgefühl behandeln —