Seite 468 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Die Juden glaubten ganz allgemein, daß die Sünde bereits in die-
sem Leben bestraft würde. In jeder Heimsuchung erblickten sie die
Strafe für eine Übeltat, die der Leidende oder seine Eltern begangen
hatten. Gewiß, alles Leiden stammt aus der Übertretung des göttli-
chen Gesetzes. Diese Wahrheit war jedoch verfälscht worden. Satan,
der Urheber der Sünde mit all ihren Folgen, hatte die Menschen dazu
gebracht, Krankheit und Tod als Maßnahmen Gottes zu sehen, als
Strafe, die willkürlich wegen der Sünde verhängt wurde. Von daher
kam es, daß jemand, der Kummer hatte oder im Unglück steckte,
noch unter der zusätzlichen Belastung stand, als großer Sünder zu
gelten.
So wurde der Weg für die Verwerfung Jesu durch die Juden
vorbereitet: „Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmer-
zen.“ Doch gerade deshalb hielten ihn die Juden „für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre“, und sie verbargen ihr
Angesicht vor ihm.
Jesaja 53,4.3
.
Gott hatte zwar eine Lehre erteilt, die gerade das verhindern
sollte. Hiobs Leben zeigte, daß Satan Leiden verhängt, die Gott aus
Gnaden außer Kraft setzt. Israel verstand jedoch die Lektion nicht.
Den gleichen Irrtum, den Gott bei den Freunden Hiobs schon geta-
delt hatte, wiederholten nun die Juden, als sie Christus verwarfen.
Auch die Jünger teilten den Glauben der Juden über die Bezie-
hung von Sünde und Leiden. Als Jesus ihren Irrtum berichtigte,
sagte er ihnen jedoch nichts über die Ursache der Heimsuchung des
Mannes, sondern verwies sie auf das Ergebnis: Es sollten „die Werke
Gottes offenbar werden“.
Johannes 9,3
. Jesus stellte fest: „Dieweil
ich bin in der Welt, bin ich das Licht der Welt.“
Johannes 9,5
. Als er
dann die Augen des Blinden mit einem Brei belegt hatte, schickte er
ihn zum Teich Siloah, um sich dort zu waschen. Danach konnte der
Blinde wieder sehen. Durch dieses Geschehen beantwortete Jesus
die Frage seiner Jünger, wie er es im allgemeinen tat, wenn ihm
Fragen aus purer Neugier vorgelegt wurden. Die Jünger sollten sich
nicht über das Problem streiten, wer gesündigt oder nicht gesündigt
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hatte, sie sollten vielmehr die Allmacht und Gnade Gottes begrei-
fen, die dem Blinden das Augenlicht wiedergab. Es lag klar auf
der Hand, daß weder der Lehmbrei noch der Teich, in dem sich der
Blinde gewaschen hatte, Heilkräfte besaßen, sondern allein Christus.