Seite 552 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
dreihundert Silbergroschen und den Armen gegeben? Das sagte er
aber nicht, weil er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb
und hatte den Beutel und nahm an sich, was gegeben ward.“
Johan-
nes 12,5.6
. Judas hatte kein Herz für die Bedürftigen. Wäre Marias
Salbe verkauft worden und der Erlös in seinen Beutel geflossen, die
Armen hätten davon keinen Nutzen gehabt.
Judas hatte eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten. Als
Schatzmeister hielt er sich für bedeutender als seine Gefährten, und
er hatte es dann fertig gebracht, daß auch sie davon überzeugt waren.
Er hatte ihr Vertrauen gewonnen und übte einen starken Einfluß auf
sie aus. Sie ließen sich durch sein angebliches Mitgefühl mit den
Armen täuschen. Seine geschickten Andeutungen veranlaßten sie,
Marias Liebestat mit Mißtrauen zu betrachten. Ein unzufriedenes
Murmeln ging um die Tafel: „Wozu diese Vergeudung? Dieses Was-
ser hätte können teuer verkauft und den Armen gegeben werden.“
Matthäus 26,8.9
.
Maria hörte diese Vorwürfe. Ihr Herz wurde bedrückt, und sie
befürchtete, daß ihre Schwester ihre Verschwendung tadeln und
auch der Meister sie für leichtsinnig halten würde. Ohne sich zu
verteidigen oder zu entschuldigen, wollte sie sich zurückziehen, als
sie Jesu Stimme hörte: „Laßt sie! Was bekümmert ihr sie?“ „Sie hat
ein gutes Werk an mir getan. Ihr habt allezeit Arme bei euch, und
wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht
allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im voraus
gesalbt zu meinem Begräbnis.“
Markus 14,6-8
.
Die duftende Gabe, die Maria an den Leichnam des Herrn zu
verschwenden gedachte, schüttete sie über seine lebende Gestalt aus.
Beim Begräbnis hätte der Wohlgeruch nur das Grab erfüllt; jetzt
aber erfreute er Jesu Herz mit der Gewißheit ihrer Treue und Liebe.
Joseph von Arimathia und Nikodemus boten ihre Gaben Jesus nicht
zu seinen Lebzeiten an, sondern sie brachten ihre kostbaren Speze-
reien unter heißen Tränen einem Toten. Die Frauen, die Spezereien
zum Grabe trugen, konnten ihren Auftrag nicht ausführen, denn Je-
sus war inzwischen auferstanden. Maria aber, die ihre Liebe dem
Heiland bewies, als dieser ihre Liebestat noch annehmen konnte,
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salbte ihn fürs Grab. Als Jesus in die Finsternis seiner schweren
Prüfung hinabstieg, trug er in seinem Herzen die Erinnerung an jene