Seite 606 - Das Leben Jesu (1973)

Basic HTML-Version

602
Das Leben Jesu
23,5-10
. Mit diesen deutlichen Worten brandmarkte der Heiland das
selbstsüchtige, immer auf Macht und Ansehen bedachte Streben, das
sich scheinbar demütig gibt, tatsächlich aber voll Geiz und Neid ist.
Wenn zum Beispiel Leute zu einem Fest eingeladen wurden, setzte
man die Gäste gemäß ihrer sozialen Stellung. Wem der ehrenvollste
Platz eingeräumt wurde, dem erwies man erhöhte Aufmerksamkeit
und besonderes Wohlwollen. Die Pharisäer waren stets besorgt, sich
derartige Ehrungen zu sichern. Dieses Verhalten tadelte Jesus.
Er verurteilte ebenso den Stolz, der sich in der Vorliebe für die
Anrede „Rabbi“ oder „Herr“ äußerte. Solch ein Titel, so sagte er,
komme Menschen nicht zu, sondern nur Christus. Priester, Schriftge-
lehrte und Oberste, Ausleger und Treuhänder des Gesetzes, sie alle
seien Brüder, Kinder eines Vaters. Jesus verlangte von den Leuten
nachdrücklich, daß sie keinem Menschen einen Ehrentitel verleihen
sollten, der anzeigen könnte, sein Träger dürfe ihr Gewissen oder
ihren Glauben beherrschen.
Lebte Christus heute auf Erden, umgeben von Menschen, die den
Titel Ehrwürden oder Hochwürden trügen, wiederholte er bestimmt
das Wort: „Ihr sollt euch nicht lassen Lehrer nennen; denn einer
ist euer Lehrer, Christus.“
Matthäus 23,5-10
. Die Heilige Schrift
sagt über Gott: „Heilig und hehr ist sein Name.“
Psalm 111,9
. Auf
welchen Menschen träfe wohl solch eine Ehrenbezeichnung zu? Wie
wenig offenbaren Menschen doch von der Weisheit und Gerech-
tigkeit, die dafür erforderlich wären! Und wie viele von denen, die
diesen Titel annehmen, stellen den Namen und das Wesen Gottes
falsch dar! Ja, wie oft verbergen sich unter dem reich geschmück-
ten Äußeren eines hohen und heiligen Amtes weltlicher Ehrgeiz,
Gewalttat und niedrigste Sünden!
Der Heiland fuhr fort: „Der Größte unter euch soll euer Diener
sein. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich
selbst erniedrigt, der wird erhöht.“
Matthäus 23,11.12
. Christus wur-
de nicht müde zu lehren, daß wahre Größe an sittlichen Maßstäben
gemessen werden muß. In der Beurteilung des Himmels besteht cha-
rakterliche Größe darin, zum Wohle der Mitmenschen zu leben und
Taten der Liebe und Barmherzigkeit zu vollbringen. Christus, der
König der Herrlichkeit, war selbst ein Diener des gefallen Menschen.
[608]
„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr
das Himmelreich zuschließet vor den Menschen! Ihr gehet nicht