Seite 607 - Das Leben Jesu (1973)

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„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer ...“
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hinein, und die hinein wollen, lasset ihr nicht hineingehen.“
Mat-
thäus 23,13
. Durch die falsche Auslegung der Heiligen Schriften
verblendeten die Priester und Schriftgelehrten die Sinne derer, die
sonst die Erkenntnis über das Reich Gottes empfangen hätten sowie
jenes innere, göttliche Leben, das zur wahren Heiligkeit unbedingt
notwendig ist.
„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, die ihr der Witwen
Häuser fresset und verrichtet zum Schein lange Gebete! Darum wer-
det ihr ein desto schwereres Urteil empfangen.“
Matthäus 23,14
.
Die Pharisäer übten großen Einfluß auf das Volk aus und zogen
daraus Vorteile für ihre eigenen Interessen. Sie gewannen das Ver-
trauen frommer Witwen und stellten es diesen als eine Pflicht dar,
ihr Eigentum religiösen Zielen zu weihen. Verfügten sie dann über
das Vermögen dieser Frauen, verwandten die verschlagenen Ränke-
schmiede es zu ihrem eigenen Nutzen. Um ihren Betrug zu vertu-
schen, sprachen sie öffentlich lange Gebete und trugen eine betonte
Frömmigkeit zur Schau. Diese Heuchelei würde ihnen, wie Jesus
sagte, eine um so schwerere Verurteilung einbringen. In gleicher
Weise müssen aber auch in unseren Tagen viele getadelt werden,
die ihre Frömmigkeit wer weiß wie groß herausstellen. Ihr Leben
ist von Selbstsucht und Habgier verunreinigt. Trotzdem überdecken
sie alles mit dem Gewand scheinbarer Reinheit und können so eine
Zeitlang ihre Mitmenschen täuschen. Doch Gott können sie nicht
hinters Licht führen. Er kennt jede im Herzen verborgene Absicht
und wird jeden Menschen nach seinen Taten richten.
Schonungslos verurteilte Jesus alle Mißbräuche, ohne dabei die
Verpflichtungen zu verringern, die das Gesetz dem Gläubigen aufer-
legt. Er tadelte die Selbstsucht, die der Witwen Gaben erpreßte und
falsch verwendete, gleichzeitig lobte er die Witwe, die ihre Gaben in
die Schatzkammer Gottes brachte. Der Mißbrauch der Opfergaben
vermochte dem Geber den Segen Gottes nicht zu rauben.
Der Heiland stand im Vorhof in der Nähe des Gotteskastens
und beobachtete, wie die Gläubigen ihre Gaben darbrachten. Viele
der wohlhabenden brachten große Summen, die sie auffällig in den
Kasten legten. Der Herr sah sie traurig an, sagte jedoch nichts zu
ihrem großzügigen Opfer. Als aber eine arme Witwe sich zögernd
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näherte, als fürchte sie, beobachtet zu werden, erhellte sich sein
Angesicht. Als die Reichen und Hochmütigen vorübereilten, um