Seite 643 - Das Leben Jesu (1973)

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Aller Diener
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Die Jünger machten keinerlei Anstalten, einander zu dienen. Je-
sus wartete eine Weile, um zu sehen, was sie tun würden, dann erhob
er sich von der Tafel, legte das störende Oberkleid ab, „nahm einen
Schurz und umgürtete sich“. Erstaunt sahen die Jünger zu; schwei-
gend warteten sie, was nun folgen würde. „Danach goß er Wasser in
ein Becken, hob an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete
sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.“
Johannes 13,4.5
.
Diese Handlung Jesu öffnete ihnen die Augen, und bittere Scham
erfüllte ihre Herzen; sie fühlten sich gedemütigt. Sie verstanden den
unausgesprochenen Tadel und sahen sich selbst in einem ganz neuen
Licht.
So bekundete Jesus seine Liebe zu seinen Jüngern. Ihr selbst-
süchtiger Geist bekümmerte ihn; aber er ließ sich in dieser Angele-
genheit in keinerlei Auseinandersetzung mit ihnen ein, sondern gab
ihnen ein Beispiel, das sie nie vergessen würden. Seine Liebe zu
ihnen konnte nicht so leicht gestört oder erstickt werden. Er „wußte,
daß ihm der Vater hatte alles in seine Hände gegeben und daß er von
Gott gekommen war und zu Gott ging.“
Johannes 13,3
. Er war sich
seiner Göttlichkeit völlig bewußt, hatte aber seine Königskrone und
seine königlichen Gewänder abgelegt und die Gestalt eines Knechtes
angenommen. Eine der letzten Handlungen seines Erdenlebens war,
sich wie ein Diener zu gürten und die Aufgabe eines Dieners zu
erfüllen.
Vor dem Passahfest hatte sich Judas ein zweites Mal mit den
Pharisäern und Schriftgelehrten getroffen und mit ihnen vereinbart,
Jesus in ihre Hände zu liefern. Ungeachtet dessen mischte er sich
hernach unter die Jünger, als ob er sich nie eines Unrechts schuldig
gemacht hätte, ja, er nahm sogar an den Festvorbereitungen regen
Anteil. Die Jünger wußten nichts von seiner Absicht, nur Jesus kann-
te sein Geheimnis. Dennoch stellte er ihn nicht bloß; denn er sorgte
sich um dessen Seele, für die er die gleiche Bürde auf sich lasten
fühlte wie für Jerusalem, als er über die zum Untergang verurteil-
te Stadt weinte. Sein Herz rief: „Wie könnte ich dich aufgeben!“
Auch Judas spürte die bezwingende Macht dieser Liebe, und als
Jesu Hände seine beschmutzten Füße wuschen und mit dem Schurz
abtrockneten, wurde sein Herz mächtig bewegt von dem Gedanken,
seine Sünde sofort zu bekennen. Er schreckte aber vor der Demüti-
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gung zurück und verhärtete sein Herz gegen die in ihm aufbrechende