Seite 644 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Reue. Die alten Regungen, für einen Augenblick zurückgedrängt,
beherrschten ihn wieder; er war sogar darüber aufgebracht, daß Jesus
seinen Jüngern die Füße wusch. Wer sich so weit erniedrigte, dachte
er, konnte nicht Israels König sein! Alle Hoffnungen auf weltliche
Ehre in einem irdischen Königreich waren zunichte gemacht. Judas
war überzeugt, daß es in der Nachfolge Christi nichts zu gewinnen
gab. Nachdem Jesus sich offenbar erniedrigt hatte, fühlte sich Judas
in seiner Absicht bestärkt, ihn nicht mehr als Herrn und Meister
anzuerkennen, ja, er hielt sich sogar für den Betrogenen. Er war von
einem bösen Geist besessen und beschloß, das Werk zu vollenden,
das er begonnen hatte: seinen Herrn zu verraten!
Bei der Platzwahl am Tisch des Herrn hatte Judas mit Erfolg
versucht, den ersten Platz zu erlangen, und so diente ihm Jesus auch
als erstem. Johannes, gegen den Judas so sehr verbittert war, mußte
bis zuletzt warten; doch er wertete das nicht als Tadel oder als einen
Ausdruck der Geringschätzung. Die Jünger waren tief bewegt, als sie
Jesu Handlungsweise sahen. Da die Reihe an Petrus kam rief dieser
bestürzt aus: „Herr, solltest du mir meine Füße waschen?“ Jesu
Herablassung bedrückte ihn. Er schämte sich bei dem Gedanken,
daß nicht einer der Jünger zu diesem Dienst bereit gewesen war.
Doch „Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das weißt
du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren“.
Johannes 13,6.7
.
Petrus konnte es nicht ertragen, seinen Herrn, von dem er glaubte,
daß er Gottes Sohn ist, als Diener vor sich zu sehen; sein ganzes
Empfinden lehnte sich gegen diese Demütigung auf. Er erkannte
nicht, daß Christus allein aus diesem Grunde in die Welt gekommen
war. Mit aller Entschiedenheit sprach er: „Nimmermehr sollst du
mir die Füße waschen!“
Feierlich erwiderte ihm Jesus: „Werde ich dich nicht waschen,
so hast du kein Teil an mir.“
Johannes 13,8
. Der Dienst, den Petrus
verweigerte, war das Sinnbild einer anderen Reinigung. Christus war
gekommen, das Herz von den Flecken der Sünde zu reinigen. Indem
Petrus dem Herrn nicht erlauben wollte, ihm die Füße zu waschen,
wehrte er sich gleichzeitig gegen die Reinigung seines Herzens und
verwarf in Wahrheit damit seinen Herrn. Es ist nicht demütigend für
den Herrn, wenn wir ihm gestatten, uns zu reinigen. Wahre Demut
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ist es jedoch, mit dankbarem Herzen jede für uns getroffene Fürsorge
anzunehmen und mit Eifer für ihn zu wirken.