Seite 66 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
lösungstat, die durch das Passahfest im Gedächtnis behalten werden
sollte. Das geschlachtete Lamm, das ungesäuerte Brot und auch die
Erstlingsgabe wiesen auf den Erlöser.
Zur Zeit Christi war die Feier des Passahfestes bei den meisten
Juden zu einem bloßen Formendienst herabgesunken. Wie groß aber
war die Bedeutung dieses Festes für den Sohn Gottes!
Zum erstenmal schaute Jesus den Tempel. Er sah die weißge-
kleideten Priester ihren feierlichen Dienst versehen, gewahrte das
blutende Opfer auf dem Altar und beugte sich mit den Gläubigen
im Gebet, während die Wolke des Weihrauchs zu Gott emporstieg.
Jesus erlebte bewußt die eindrucksvollen Gebräuche des Passahgot-
tesdienstes, deren Bedeutung ihm von Tag zu Tag klarer wurde. Jede
Handlung schien mit seinem eigenen Leben in innigstem Zusam-
menhang zu stehen. Das alles weckte neue Gedanken in ihm. Still
und in sich gekehrt schien er einem besonderen Problem nachzuden-
ken. Das Geheimnis seiner Sendung wurde ihm bewußt.
Überwältigt von den Erlebnissen, die ihm hier begegneten, hatte
er sich von der Seite seiner Eltern entfernt. Er wollte allein sein.
Die gottesdienstlichen Handlungen waren längst beendet, da hielt
er sich noch immer in den Vorhöfen des Tempels auf, und als die
jüdischen Festbesucher Jerusalem wieder verließen, blieb er in der
Stadt zurück.
Bei diesem Besuch in Jerusalem wollten Jesu Eltern ihn mit
den großen Lehrern Israels zusammenbringen. Während er in jeder
Einzelheit dem Worte Gottes gehorsam war, richtete er sich jedoch
nicht nach den Bräuchen und Gewohnheiten der Schriftgelehrten.
Joseph und Maria hofften, er würde den gelehrten Rabbinern mit
achtungsvoller Ehrerbietung gegenübertreten und ihre Forderungen
mit größerer Sorgfalt beachten. Doch Jesus war im Tempel durch
Gott selbst unterrichtet worden, und das, was er auf diese Weise
empfangen hatte, begann er sogleich mitzuteilen.
Eine mit dem Tempel verbundene Halle diente zu jener Zeit als
„Heilige Schule“. Sie wurde nach der Art der alten Prophetenschulen
benutzt; die Rabbiner versammelten hier ihre Schüler um sich. Auch
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Jesus kam in diese Halle und lauschte, zu den Füßen der ehrwürdigen
und gelehrten Männer sitzend, deren Belehrungen. Als einer, der
nach Weisheit suchte, wollte er von den Rabbinern Aufschluß haben