Seite 67 - Das Leben Jesu (1973)

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Auf dem Passahfest
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über die alten Weissagungen und über die gegenwärtigen Ereignisse,
die auf das Kommen des Messias hinwiesen.
Sein Verlangen nach Erkenntnis war groß, und seine Fragen rühr-
ten an tiefe Wahrheiten, die seit langem verborgen waren und doch
für das Heil der Menschen so große Bedeutung hatten. Er zeigte,
wie begrenzt und oberflächlich im Grunde doch die ganze Weisheit
der Schriftgelehrten war. Jede Frage enthielt eine göttliche Lehre
und ließ die Wahrheit in einem neuen Licht erscheinen. Die Rabbi-
ner sprachen von der wunderbaren Erhöhung, die das Erscheinen
des Messias dem jüdischen Volk bringen würde; Jesus aber verwies
auf die Weissagungen Jesajas und fragte nach der Bedeutung je-
ner Schriftstellen, die vom Leiden und Sterben des Gotteslammes
kündeten.
Die Schriftgelehrten erwiderten mit Gegenfragen und konnten
ihr Erstaunen über seine Antworten nicht verbergen. Mit der Demut
eines Kindes wiederholte Jesus die Worte der Schrift und gab ihnen
eine so tiefe Bedeutung, daß sie sich davon keine Vorstellung ma-
chen konnten. Hätten sich die Schriftgelehrten zu diesen göttlichen
Wahrheiten bekannt, würde das eine Erneuerung des geistlichen
Lebens und eine Wiedergeburt des Glaubens zur Folge gehabt ha-
ben. Bei Jesu Lehrantritt wären dann viele vorbereitet gewesen, ihn
anzunehmen.
Die Rabbiner wußten, daß Jesus nicht in ihren Schulen unterrich-
tet worden war; und doch übertraf er sie in seinem Verständnis der
heiligen Schriften bei weitem. Dieses Bewußtsein ließ sie wünschen,
daß dieser begabte, nachdenkliche Knabe, der zu den schönsten
Hoffnungen berechtigte, ihr Schüler und ein Lehrer in Israel wür-
de. Sie wollten seine weitere Erziehung übernehmen, da sie nur
sich die Fähigkeit zutrauten, einen so schöpferischen Geist richtig
auszubilden.
Jesu Worte waren in die Herzen der Rabbiner gedrungen. Noch
nie zuvor hatten Worte aus menschlichem Mund solche Wirkung auf
sie auszuüben vermocht. Gott versuchte diesen geistigen Führern
seines Volkes Licht zu geben; er benutzte dazu das einzige Mittel,
durch das sie erreicht werden konnten. Stolz wie sie waren, hätten
sie sich nie dazu verstehen können, Belehrungen durch irgendwelche
andere anzuerkennen. Und hätten Jesu Worte den Anschein gehabt,
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daß er sie belehren wollte, würden sie ihm gar nicht zugehört haben.