Seite 685 - Das Leben Jesu (1973)

Basic HTML-Version

Gethsemane
681
Kurz bevor Jesus seine Schritte nach dem Garten lenkte, hatte
er seinen Jüngern noch gesagt: „Ihr werdet alle an mir Ärgernis
nehmen.“
Markus 14,27
. Die Jünger aber hatten ihm mit starken
Worten versichert, daß sie mit ihm ins Gefängnis und in den Tod
gehen wollten. Und der bedauernswerte, selbstbewußte Petrus hatte
hinzugefügt: „Und wenn sie alle an dir Ärgernis nähmen, so doch
ich nicht.“
Markus 14,29
. Die Jünger aber bauten auf sich selbst,
sie blickten nicht auf den mächtigen Helfer, wie der Herr es ihnen
geraten hatte; deshalb fand der Heiland sie schlafend, als er ihrer
Anteilnahme und ihrer Gebete am meisten bedurfte. Selbst Petrus
schlief.
Und Johannes, der liebevolle Jünger, der an Jesu Brust gelehnt
hatte, schlief ebenfalls. Gewiß, die Liebe zu seinem Meister hät-
te ihn wachhalten sollen, seine aufrichtigen Gebete hätten sich in
der Stunde der äußersten Qual mit den Gebeten seines geliebten
Heilandes vereinigen sollen. Der Erlöser hatte in langen, einsamen
Nächten für seine Jünger gebetet, daß ihr Glaube nicht aufhören
möge. Hätte er jetzt an Jakobus und Johannes die Frage gerichtet,
die er ihnen einmal gestellt hatte: „Könnt ihr den Kelch trinken, den
ich trinken werde und euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich
getauft werde?“ (
Matthäus 20,22
), sie würden nicht gewagt haben,
diese noch einmal zu bejahen.
Jesu Stimme ließ die schlafenden Jünger erwachen, aber sie
erkannten ihn kaum, so sehr hatte die auszustehende Qual sein Ant-
litz verändert. Jesus wandte sich an Petrus und fragte ihn: „Simon,
schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen? Wachet
und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet! Der Geist ist willig;
aber das Fleisch ist schwach.“
Markus 14,37.38
. Die Schwachheit
seiner Jünger erweckte Jesu Mitgefühl. Er fürchtete, daß sie die
Prüfung, die durch den Verrat an ihm und durch seinen Tod über sie
kommen würde, nicht bestehen könnten. Er tadelte sie nicht, sondern
bat: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet!“ Sogar in
seiner großen Todesnot suchte er ihre Schwachheit zu entschuldigen.
„Der Geist ist willig“, sagte er „aber das Fleisch ist schwach.“
[687]
Aufs neue wurde der Heiland von übermenschlicher Angst ergrif-
fen. Fast ohnmächtig vor Schwäche und völlig erschöpft, taumelte
er an seinen Platz zurück. Seine Qual wurde noch größer als vorher,
und in der Todesangst seiner Seele wurde „sein Schweiß wie Bluts-