Seite 689 - Das Leben Jesu (1973)

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Gethsemane
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Christi Seelenschmerz hörte nicht auf; aber die Niedergeschla-
genheit und Entmutigung verließen ihn. Der Sturm in seiner Seele
hatte keineswegs nachgelassen; aber Christus, gegen den sein Wüten
gerichtet war, fühlte sich gekräftigt, ihm zu widerstehen. Ruhig und
gefaßt ging er aus dem Kampf hervor; himmlischer Friede ruhte auf
seinem Angesicht. Er hatte erduldet, was kein menschliches Wesen
jemals würde ertragen können; denn er hatte die Leiden des Todes
für alle Menschen durchlebt.
Die schlafenden Jünger waren durch das helle Licht, das den
Heiland umstrahlte, plötzlich aufgeweckt worden. Sie sahen den
Engel sich über ihren hingestreckt liegenden Meister beugen, dessen
Haupt gegen seine Brust lehnen und die Hand zum Himmel erheben.
Sie hörten den wundersamen Wohllaut seiner Stimme, die Worte des
Trostes und der Hoffnung sprach. Sie riefen sich das Geschehen auf
dem Verklärungsberge ins Gedächtnis zurück, sie erinnerten sich der
Herrlichkeit, die Jesus im Tempel zu Jerusalem umgeben hatte, und
der Stimme Gottes, die aus der Wolke an ihr Ohr gedrungen war.
Nun offenbarte sich ihnen hier die gleiche Herrlichkeit, und fortan
fürchteten sie nichts mehr für ihren Meister. Sie wußten ihn jetzt
unter der Fürsorge Gottes, der einen mächtigen Engel zum Schutze
des Erlösers gesandt hatte. Doch wieder überlassen sich die Jünger in
ihrer Müdigkeit jenem ungewöhnlichen Dämmerzustand, und Jesus
findet sie abermals schlafend.
Traurig blickt er auf die Schlafenden und spricht zu ihnen: „Ach,
wollt ihr nun schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, daß des
Menschen Sohn in der Sünder Hände überantwortet wird.“
Noch während er diese Worte sprach, hörte er die Schritte derer,
die ihn suchten, und er fügte hinzu: „Stehet auf, laßt uns gehen!
Siehe, er ist da, der mich verrät.“
Matthäus 26,45.46
.
Jesus zeigte keinerlei Spuren mehr des eben überstandenen in-
neren Ringens, als er dem Verräter entgegentrat. Allein vor seinen
Jüngern stehend, sagte er: „Wen suchet ihr?“ Sie antworteten: „Je-
sus von Nazareth.“ Da sprach Jesus zu ihnen: „Ich bin‘s!“
Johannes
[691]
18,4.5
. In diesem Augenblick trat der Engel, der Jesus kurz zuvor erst
gedient hatte, zwischen ihn und die Schar der Häscher. Göttliches
Licht erhellte Jesu Angesicht, und ein taubenähnlicher Schatten fiel
auf seine Gestalt. Die Gegenwart dieser himmlischen Herrlichkeit