Seite 724 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Jesus sagte zu Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.
Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum
kämpfen, daß ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist
mein Reich nicht von dieser Welt. Da sprach Pilatus zu ihm: So bist
du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein
König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für
die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine
Stimme.“
Johannes 18,36.37
.
Christus bestätigte damit, daß sein Wort ein Schlüssel ist, der
allen, die bereit sind, es zu empfangen, das Geheimnis Gottes er-
schließt. Es entfaltet eine in ihm selbst liegende Kraft, und nur so ist
es erklärbar, daß sich Jesu Reich der Wahrheit so weit auszudehnen
vermochte. Jesus wollte Pilatus verständlich machen, daß sein ver-
pfuschtes Leben nur erneuert werden könne, wenn er die göttliche
Wahrheit annehmen und in ihr aufgehen würde.
Pilatus hatte den Wunsch, die Wahrheit kennenzulernen. Er war
innerlich beunruhigt und klammerte sich an Jesu Worte. Sein Herz
sehnte sich danach, zu erfahren, was es mit der von Jesus verkündig-
ten Wahrheit auf sich habe und wie er sie erlangen könne. „Was ist
Wahrheit?“ (
Johannes 18,38
), fragte er den Herrn. Doch wartete er
eine Antwort nicht mehr ab. Der Lärm draußen gemahnte ihn an die
Bedeutung dieser Stunde; denn die Priester verlangten ungestüm ei-
ne sofortige Entscheidung. Er ging zu den Juden hinaus und erklärte
ihnen mit Nachdruck: „Ich finde keine Schuld an ihm.“
Diese Worte eines heidnischen Richters waren eine vernichtende
Anklage gegen die Hinterlist und Falschheit der Obersten in Israel,
die den Heiland verklagten. Als die Priester und Ältesten die Wor-
te des Pilatus hörten, kannten ihre Wut und Enttäuschung keine
Grenzen. Lange hatten sie Pläne geschmiedet und auf eine solche
Gelegenheit gewartet! Als sie jetzt die Möglichkeit der Freilassung
erkannten, hätten sie Jesus am liebsten in Stücke gerissen. Mit lauter
Stimme klagten sie Pilatus an und drohten ihm mit einem Verweis
der römischen Verwaltung. Sie warfen ihm vor, er habe sich ge-
weigert, diesen Jesus, der sich, so erklärten sie, gegen den Kaiser
erhoben hätte, zu verurteilen.
Erregte Stimmen wurden laut, die behaupteten, daß der aufrüh-
rerische Einfluß Jesu doch im ganzen Land bekannt sei. Die Priester
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riefen: „Er wiegelt das Volk auf damit, daß er lehrt hin und her im