Seite 725 - Das Leben Jesu (1973)

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Bei Pilatus
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ganzen jüdischen Lande und hat in Galiläa angefangen bis hierher.“
Lukas 23,5
.
Pilatus hatte bis dahin nicht die Absicht gehabt, Jesus zu ver-
urteilen; denn er wußte, daß die Klage der Juden nur aus Haß und
Vorurteil erfolgt war. Auch kannte er seine Pflicht genau. Die Ge-
rechtigkeit verlangte, Jesus sofort wieder freizulassen; doch fürchtete
Pilatus den Unwillen des Volkes. Weigerte er sich, ihnen Jesus zu
überantworten, würde sich ein Tumult erheben, und diesen scheute
er. Als er hörte, daß Jesus aus Galiläa stammte, beschloß er, ihn zu
Herodes zu senden, den König über jene Provinz, der sich gerade in
Jerusalem aufhielt. Auf diese Weise gedachte er die Verantwortung
für die Gerichtsverhandlung von sich auf Herodes zu schieben. Zu-
gleich sah er darin eine gute Gelegenheit, einen alten Streit zwischen
ihm und Herodes zu schlichten. Und so geschah es. Die beiden
Herrscher schlossen Freundschaft über dem Verhör des Heilandes.
Pilatus übergab Jesus abermals den Soldaten, und unter den
Spottrufen und Schmähungen des Volkes wurde er eilends zum
Richthause des Herodes gebracht. „Da aber Herodes Jesus sah, ward
er sehr froh.“ Er war noch nie mit dem Heiland zusammengetroffen;
deshalb hätte er „ihn längst gerne gesehen; denn er hatte von ihm
gehört und hoffte, er würde ein Zeichen von ihm sehen“.
Lukas
23,8
. Dieser Herodes hatte seine Hände mit dem Blut Johannes des
Täufers befleckt. Als er zum ersten Mal von Jesus hörte, sagte er
schreckerfüllt: „Johannes, den ich enthauptet habe, der ist auferstan-
den“; „deshalb wirken in ihm solche Kräfte“.
Markus 6,16
;
Matthäus
14,2
. Dennoch wünschte Herodes Jesus kennenzulernen. Nun bot
sich die Gelegenheit, das Leben dieses Propheten zu retten, und der
König hoffte, die Erinnerung an das blutige Haupt, das ihm in einer
Schüssel gebracht worden war, für immer aus seinem Gedächtnis
verbannen zu können. Darüber hinaus wollte er unbedingt seine
Neugierde befriedigen. Gäbe man Christus irgendeine Aussicht auf
Freilassung, wäre er sicherlich bereit, alles zu tun, worum man ihn
bitten würde, so dachte er.
Eine große Schar Priester und Älteste hatte Jesus zu Herodes
begleitet. Als der Heiland in den Palast gebracht wurde, klagten
ihn diese Würdenträger mit aufgeregter Stimme an. Doch Herodes
schenkte ihren Anklagen wenig Beachtung. Er gebot Schweigen,
weil er selbst Christus Fragen stellen wollte, und befahl, Christus
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