Seite 728 - Das Leben Jesu (1973)

Basic HTML-Version

724
Das Leben Jesu
Das Gesicht des Herodes wurde dunkelrot vor Zorn. Sich an
das Volk wendend, klagte er mit erregter Stimme Jesus als Betrüger
an. Zum Herrn sagte er darauf: Wenn du keinen Beweis für deine
Behauptung geben willst, werde ich dich den Soldaten und dem Volk
ausliefern; vielleicht werden sie dich zum Sprechen bringen. Bist
du ein Betrüger, dann ist der Tod aus ihren Händen nur das Urteil,
das du verdienst; bist du aber Gottes Sohn, dann rette dich, indem
du ein Wunder wirkst!
Kaum waren diese Worte gefallen, als ein Sturm gegen Jesus
losbrach. Gleich wilden Tieren stürzte sich die Menge auf ihre Beu-
te. Jesus wurde hin und her gerissen, und auch Herodes folgte der
Menge in der Absicht, den Sohn Gottes zu demütigen. Hätten nicht
die römischen Soldaten eingegriffen und die wilde Schar zurückge-
drängt, der Heiland wäre in Stücke gerissen worden.
„Herodes mit seinem Hofgesinde verachtete und verspottete ihn,
legte ihm ein weißes Kleid an und sandte ihn wieder zu Pilatus.“
Lu-
kas 23,11
. Die römischen Soldaten beteiligten sich an diesen Über-
griffen. Alle Mißhandlungen, die sich diese boshaften, verderbten
Krieger, von Herodes und den jüdischen Würdenträgern unterstützt,
ausdenken konnten, häufte man auf den Heiland. Dennoch verließ
ihn nicht einen Augenblick seine göttliche Geduld.
Jesu Verfolger hatten versucht, sein Wesen an ihrem eigenen
Charakter zu messen; sie hatten ihn als ebenso niedrig und gemein
hingestellt, wie sie selbst waren. Doch abgesehen von dem derzei-
tigen Schauspiel drängte sich vielen ein anderes Geschehen auf —
ein Bild, das ihnen eines Tages in aller Herrlichkeit offenbar wer-
den wird. Einige waren unter ihnen, die in Christi Gegenwart zu
zittern begannen. Während sich die rohe Volksmenge spottend vor
ihm verbeugte, wandten sich andere erschrocken und wortlos um,
ohne ihr Vorhaben ausgeführt zu haben. Selbst Herodes kam seine
Schuld zum Bewußtsein. Die letzten Strahlen barmherzigen Lich-
tes fielen auf sein durch die Sünde verhärtetes Herz. Er fühlte, daß
[730]
Jesus kein gewöhnlicher Mensch war; denn göttliches Licht hatte
seine Menschlichkeit durchleuchtet. Während Jesus von Spöttern,
Ehebrechern und Mördern umringt wurde, glaubte Herodes einen
Gott auf seinem Thron zu erblicken.
So gefühllos Herodes auch war, er wagte es nicht, das Urteil
über Jesus zu bestätigen. Er wollte sich von dieser schrecklichen