Seite 770 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
über den Feldern von Bethlehem Lob und Preis gesungen. Dem
Meer war seine Stimme vertraut gewesen, und es hatte seinem Gebot
gehorcht. Krankheit und Tod hatten seine Vollmacht anerkannt und
ihm ihre Opfer ausgeliefert. Die Sonne hatte beim Anblick seines
Todeskampfes ihre Strahlen verborgen; die Felsen hatten ihn gekannt
und waren bei seinem Todeskampf zersplittert. Die unbelebte Natur
hatte Christi Göttlichkeit deutlich bezeugt. Nur die Priester und
Obersten in Israel verschlossen sich dem Sohne Gottes.
Doch Ruhe fanden sie nicht. Sie hatten ihre Absicht erreicht
und Jesus getötet, aber sie konnten ihres Sieges nicht froh werden.
Selbst in der Stunde ihres augenscheinlichen Triumphes wurden
sie von Zweifeln beunruhigt, was als nächstes geschehen werde.
Sie hatten Jesu Ruf „Es ist vollbracht!“ (
Johannes 19,30
) sowie
seine Worte: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“
(
Lukas 23,46
) gehört. Zudem hatten sie gesehen, wie die Felsen
zersprangen, und gespürt, wie die Erde bebte. Dies alles machte sie
ruhelos und ängstlich.
Sie waren auf den Einfluß des Herrn eifersüchtig gewesen, den er
auf das Volk ausübte, als er noch lebte; nun waren sie sogar auf den
Toten eifersüchtig. Sie fürchteten den toten Christus noch weit mehr,
als sie den Lebenden je gefürchtet hatten. Sie waren besorgt, daß
sich die Aufmerksamkeit des Volkes weiterhin auf die Ereignisse
richten würde, die während der Kreuzigung geschahen. Sie hatten
Angst vor den Folgen ihres Handelns an jenem Tage. Auf keinen Fall
sollte darum Jesu Körper während des Sabbats am Kreuze hängen
bleiben. Der Sabbat stand bevor, und die Heiligkeit dieses Tages
würde durch die am Kreuz verbleibenden Körper verletzt werden.
Dies als Vorwand benutzend, baten die jüdischen Obersten Pilatus,
daß der Todeskampf der verurteilten abgekürzt und ihre Leiber noch
vor Sonnenuntergang vom Kreuz genommen würden.
Pilatus wollte ebensowenig wie sie Jesus am Kreuz hängen las-
sen. Mit seiner Zustimmung wurden den beiden Übeltätern die Beine
gebrochen, um ihren Tod zu beschleunigen; doch Jesus war bereits
gestorben. Die rohen Soldaten waren durch alles, was sie von Jesus
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gesehen und gehört hatten, milde gestimmt worden, und sie ver-
zichteten darauf, ihm die Beine zu brechen. So erfüllte sich in der
Opferung des Gotteslammes das Passahgesetz: „Sie sollen nichts
davon übriglassen bis zum Morgen, auch keinen Knochen davon