Seite 775 - Das Leben Jesu (1973)

Basic HTML-Version

In Josephs Grab
771
rung des göttlichen Geheimnisses im Allerheiligsten erfüllte sie mit
Furcht vor einem kommenden Unheil.
Die Gedanken vieler waren noch mit den Vorgängen auf Gol-
gatha beschäftigt. Von der Kreuzigung bis zur Auferstehung durch-
forschten viele schlaflose Augen beständig die Weissagungen der
heiligen Schriften. Einige wollten sich der vollen Bedeutung des Pas-
sahfestes vergewissern; andere wollten feststellen, daß Jesus nicht
der war, für den er sich ausgegeben hatte; wieder andere suchten
mit trauerndem Herzen nach Beweisen, daß Jesus der wahre Messi-
as war. Obgleich sie mit verschiedenen Zielsetzungen die heiligen
Schriften durchforschten, wurden sie doch alle von einer Wahrheit
überzeugt: daß sich die Prophezeiung in den Ereignissen der letzten
Tage erfüllt hatte und daß der Gekreuzigte der Erlöser der Welt war.
Viele, die diesem Gottesdienst beiwohnten, haben niemals wieder
am Passahfest teilgenommen. Sogar viele Priester wurden von dem
edlen Charakter Jesu überzeugt. Ihr Suchen in den Schriften war
nicht vergebens gewesen; und nach Jesu Auferstehung anerkannten
sie ihn als den Sohn Gottes.
Als Nikodemus Jesus am Kreuz erhöht sah, erinnerte er sich
der Worte, die Jesus in jener Nacht am Ölberg gesprochen hatte:
„Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muß des Men-
schen Sohn erhöht werden, auf daß alle, die an ihn glauben, das
ewige Leben haben.“
Johannes 3,14.15
. An jenem Sabbat, als Jesus
im Grabe ruhte, hatte Nikodemus Gelegenheit, über diese Worte
nachzudenken. Ein helleres Licht erleuchtet jetzt seinen Verstand,
und Jesu Worte blieben ihm nicht mehr länger geheimnisvoll. Er
fühlte, daß er vieles versäumt hatte, weil er nicht schon zu dessen
Lebzeiten mit Jesus in Verbindung getreten war. Jetzt kamen ihm die
Ereignisse auf Golgatha in den Sinn. Jesu Gebet für seine Mörder
und seine Antwort auf die Bitte des sterbenden Übeltäters gingen
dem gelehrten Ratsmitglied zu Herzen. Vor seinem inneren Auge
erblickte er noch einmal den sterbenden Heiland, und wieder hörte
er jenen letzten Aufschrei, wie aus dem Munde eines siegreichen
[779]
Eroberers: „Es ist vollbracht!“
Johannes 19,30
. Erneut sah er die
taumelnde Erde, den verfinsterten Himmel, den zerrissenen Vorhang,
die erbebenden Felsen — und sein Glaube war für immer gegründet.
Gerade das Geschehen, das die Hoffnungen der Jünger vernichtete,
überzeugte Joseph und Nikodemus von der Gottheit Jesu. Ihre Be-