Seite 776 - Das Leben Jesu (1973)

Basic HTML-Version

772
Das Leben Jesu
fürchtungen wurden durch den Mut eines festen, unerschütterlichen
Glaubens überwunden.
Nie hatte Christus so sehr die Aufmerksamkeit der Menge erregt
wie jetzt, da er im Grabe ruhte. Gewohnheitsgemäß brachte das Volk
seine Kranken und Leidenden in die Höfe des Tempels und fragte:
Wer kann uns sagen, wo Jesus von Nazareth ist? Viele waren von
weit her gekommen, um den zu sehen, der Kranke geheilt und Tote
auferweckt hatte. Von allen Seiten erscholl der Ruf: Wir wollen
zu Christus, dem großen Arzt! Bei dieser Gelegenheit wurden alle
jene von den Priestern untersucht, bei denen man Symptome des
Aussatzes festzustellen glaubte. Viele mußten mit anhören, wie ihre
Männer, Frauen oder Kinder als aussätzig erklärt wurden. Diese
Armen mußten daraufhin ihre Heime verlassen, auf die Fürsorge
seitens ihrer Freunde verzichten und jeden Fremdling mit dem trau-
rigen Ruf „Unrein, unrein!“ davor warnen, sich ihnen zu nähern.
Jesu gütige Hände hatten sich nie geweigert, die ekelerregenden Le-
prakranken mit heilender Kraft zu berühren. Jetzt lagen sie gefaltet
auf seiner Brust. Seine Lippen, die der aussätzigen Bitten mit den
tröstlichen Worten beantwortet hatten: „Ich will‘s tun; sei gereinigt!“
(
Matthäus 8,3
) waren nun verstummt. Viele Menschen flehten die
Hohenpriester und Obersten an, Mitleid mit ihnen zu haben und
ihnen zu helfen. Es war vergebens. Allem Anschein nach wollten
sie den lebenden Christus wieder in ihrer Mitte haben. Mit beharr-
lichem Ernst fragten sie nach ihm und ließen sich nicht abweisen.
Deshalb vertrieb man sie aus den Tempelhöfen. Soldaten bewachten
die Tore; sie sollten das Volk zurückhalten, das mit den Kranken
und Sterbenden kam und Einlaß begehrte.
Die Kranken, die gekommen waren, um vom Heiland geheilt
zu werden, wurden bitter enttäuscht. Die Straßen füllten sich mit
Klagenden. Leidende starben, weil sie von Jesu heilender Hand nicht
berührt werden konnten. Ärzte fragte man vergeblich um Rat. Keiner
besaß die Fähigkeit des Mannes, der nun in Josephs Grab lag.
[780]
Das Wehklagen der Leidenden machte Tausenden von Men-
schen bewußt, daß in der Welt ein großes Licht erloschen war. Ohne
Christus war es dunkel und finster auf der Erde. Viele, die den Ruf
„Kreuzige, kreuzige ihn!“ mit ihren Stimmen verstärkt hatten, er-
kannten jetzt, welches Unglück sie getroffen hatte. Am liebsten