Seite 194 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
Ismaeliten aus der Gegend jenseits des Jordans, die mit Gewürzen
und anderer Handelsware auf dem Wege nach Ägypten war. Nun
schlug Juda vor, Joseph diesen heidnischen Händlern zu verkaufen,
statt ihn dem Hungertode preiszugeben. Während sie ihn auf diese
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Weise sicher aus dem Wege räumten, wurde sie doch nicht an sei-
nem Blut schuldig. „Es ist unser Bruder“, betonte er, „unser Fleisch
und Blut.“
1.Mose 37,27
. Diesem Vorschlag stimmten alle zu, und
schnell zogen sie Joseph aus der Grube.
Als er die Kaufleute sah, wurde Joseph die schreckliche Wahrheit
blitzartig klar. Sklavenlos war ein Schicksal, das man mehr fürchtete
als den Tod. In seiner furchtbaren Angst flehte er den einen und
den andern Bruder an, aber vergebens. Einigen tat er wohl leid,
aber Furcht vor dem Gespött der andern schloß ihnen den Mund.
Alle hatten das Gefühl, daß sie schon zu weit gegangen waren,
als daß sie jetzt noch den Rückzug antreten konnten. Verschonten
sie Joseph, würde er zweifellos dem Vater alles über sie berichten,
und der würde ihre Grausamkeit gegen seinen Lieblingssohn nicht
ungestraft hingehen lassen. So verhärteten sie sich gegen seine Bitten
und übergaben ihn den heidnischen Händlern. Die Karawane brach
auf und war bald entschwunden.
Als Ruben zurückkam, war Joseph nicht mehr in der Grube. Vol-
ler Angst und Selbstvorwürfen zerriß er seine Kleider und fragte
seine Brüder: „Der Knabe ist nicht da! Wo soll ich hin?“
1.Mose
37,30
. Als er Josephs Schicksal erfuhr und begriff, daß dieser nicht
zurückzuholen war, ließ er sich von den andern zu dem Versuch
überreden, ihre Schuld zu verheimlichen. Sie töteten eine junge Zie-
ge, tauchten Josephs Rock in das Blut und brachten ihn zu ihrem
Vater. Ihm erzählten sie, sie hätten den Rock auf dem Felde gefunden
und fürchteten, er gehöre ihrem Bruder. „Sieh“, sagten sie, „ob‘s
deines Sohnes Rock sei oder nicht.“ Voller Unbehagen hatten sie
diese Begegnung erwartet, aber auf solche herzzerreißende Seelen-
qual, solchen hemmungslosen Ausbruch des Schmerzes, wie sie ihn
nun mit ansehen mußten, waren sie nicht vorbereitet. „Es ist meines
Sohnes Rock“, rief Jakob, „ein böses Tier hat ihn gefressen, ein
reißendes Tier hat Joseph zerrissen!“ Vergeblich suchten Söhne und
Töchter ihn zu trösten. Er „zerriß seine Kleider und legte ein härenes
Tuch um seine Lenden und trug Leid um seinen Sohn lange Zeit“.
Aber auch die Zeit schien seinen Gram nicht zu lindern. „Ich werde