Seite 213 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Joseph und seine Brüder
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„Das sei ferne von mir, solches zu tun!“ lautete die Entgegnung.
„Der, bei dem der Becher gefunden ist, soll mein Sklave sein; ihr
aber zieht hinauf mit Frieden zu eurem Vater.“
1.Mose 44,17
.
[204]
In seiner großen Not trat Juda dem Herrscher näher und rief aus:
„Mein Herr, laß deinen Knecht ein Wort reden vor den Ohren meines
Herrn, und dein Zorn entbrenne nicht über deinen Knecht, denn du
bist wie der Pharao.“
1.Mose 44,18
. Mit rührender Beredsamkeit
schilderte er des Vaters Kummer beim Verlust Josephs und sein
Widerstreben, Benjamin mit: nach Ägypten ziehen zu lassen, weil er
der einzige Sohn seiner Mutter Rahel sei, die Jakob so sehr geliebt
hatte. „Nun“, sagte er, „wenn ich heimkäme zu deinem Knecht,
meinem Vater, und der Knabe wäre nicht mit uns, an dem er mit
ganzer Seele hängt, so wird‘s geschehen, daß er stirbt, wenn er sieht,
daß der Knabe nicht da ist. So würden wir, deine Knechte, die grauen
Haare deines Knechtes, unseres Vaters, mit Herzeleid hinunter zu
den Toten bringen. Denn ich, dein Knecht, bin Bürge geworden für
den Knaben vor meinem Vater und sprach: Bringe ich ihn dir nicht
wieder, so will ich mein Leben lang die Schuld tragen. Darum laß
deinen Knecht hierbleiben an des Knaben Statt als Sklaven meines
Herrn und den Knaben mit seinen Brüdern hinaufziehen. Denn wie
soll ich hinaufziehen zu meinem Vater, wenn der Knabe nicht mit
mir ist? Ich könnte den Jammer nicht sehen, der über meinen Vater
kommen würde.“
1.Mose 44,30-34
.
Jetzt hatte Joseph Gewißheit. Er sah bei den Brüdern die Frucht
wahrer Reue. Als er Judas edles Anerbieten hörte, befahl er deshalb
allen Männern außer den Brüdern, den Raum zu verlassen. Dann rief
er laut weinend: „Ich bin Joseph. Lebt mein Vater noch?“
1.Mose
45,3
.
Seine Brüder standen regungslos, stumm vor Furcht und Staunen.
Der Herrscher Ägyptens war ihr Bruder Joseph, den sie beneidet
hatten, den sie töten wollten und schließlich als Sklaven verkauft
hatten. Sie dachten daran, wie sie ihn behandelt hatten. Sie erinner-
ten sich, wie sie ihn um seiner Träume willen geschmäht und sich
angestrengt hatten, deren Erfüllung zu verhindern. Und doch hatten
sie ihr Teil dazu beigetragen, diese Träume zu erfüllen. Da sie nun
vollständig in seiner Gewalt waren, würde er sich zweifellos für alle
erlittene Ungerechtigkeit rächen.