Seite 99 - Auf den Spuren des gro

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Der Arzt ist auch Erzieher
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haben. Der Arzt, der seine Verantwortung ernst nimmt, muß diesen
Patienten die Ursache ihres Leidens aufzeigen. Wenn er nun aber
selbst raucht oder Alkohol trinkt — welches Gewicht wird man dann
seinen Worten beimessen? Wird er in dem Bewußtsein seiner eige-
nen Nachgiebigkeit nicht zögern, auf die dunklen Flecken im Leben
seiner Patienten hinzuweisen? Wenn er diese Genußmittel selbst
gebraucht — wie kann er dann die Jugend von deren schädlichen
Folgen überzeugen?
Wie kann ein Arzt in der sozialen Gemeinschaft als ein Vorbild
für Gesundheit und Selbstdisziplin dastehen, wie kann er ein erfolg-
reicher Arbeiter imMäßigkeitswerk sein, während er sich selbst einer
schlechten Gewohnheit ergibt? Wie kann er am Bett der Kranken
und Sterbenden wirkungsvoll helfen, wenn sein Atem nach Alkohol
oder Tabak riecht?
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Wie kann jemand, der selbst sein Nervensystem zerstört und
sein Gehirn durch den Konsum narkotisierender Gifte benebelt,
dem Vertrauen gerecht werden, das man ihm als zuverlässigem
Arzt entgegenbringt? Wie unmöglich ist es doch für ihn, schnell zu
entscheiden oder präzise zu handeln!
Wenn er die Gesetze, die auch für sein Leben gelten, nicht be-
folgt, wenn er selbstsüchtige Befriedigung der Gesundheit von Geist
und Körper vorzieht — erklärt er sich damit nicht für untauglich,
die Verantwortung für Menschenleben zu hegen?
Wie sorgfältig und gewissenhaft ein Arzt auch sein mag, in seiner
Arbeit wird es doch viele scheinbare Entmutigungen und Niederla-
gen geben. Häufig sind seine Heilerfolge nicht von Dauer. Obwohl
die Gesundheit seiner Patienten wiederhergestellt ist, bedeutet dies
keinen wirklichen Nutzen für sie oder die Gesellschaft. Denn viele
werden gesund, um dann die Nachgiebigkeiten zu wiederholen, die
sie erkranken ließen. Mit demselben Eifer wie zuvor stürzen sie sich
wieder in den Kreislauf von Selbstbemitleidung und Unvernunft. Die
Arbeit des Arztes an ihnen scheint verschwendete Mühe gewesen
zu sein.
Christus machte häufig diese Erfahrung, verringerte deshalb aber
seine Bemühungen um eine leidende Seele nicht. Von den zehn
geheilten Aussätzigen wußte nur einer sein Geschenk zu würdigen,
und das war ein Fremder, ein Samariter. Aber für diesen einen heilte
Christus auch die anderen neun. Wenn der Arzt nun keine bessere