Seite 712 - Der gro

Basic HTML-Version

708
Der große Kampf
vollkommenen Gehorsam hingeben, indem sie den Oberen, wer
immer es sei, als den Stellvertreter unseres Herrn Christi ansehen
[705]
und ihm mit innerer Ehrfurcht und Liebe zugetan sind.“
„In einem berühmt gewordenen Brief an die Ordensmitglieder
schreibt Ignatius einmal: ‚Sehen Sie auf Den, dem Sie in dem Men-
schen Gehorsam leisten, also auf Christus, die höchste Weisheit, die
unendliche Güte und Liebe, auf den Herrn, von dem Sie wissen, daß
Er weder irren noch Sie täuschen kann.‘
Eben weil der Jesuit in seinem Vorgesetzten stets die göttliche
Person erblickt, bedeutet für ihn der Gehorsam eine Art ‚unio my-
stica‘ mit dem Willen Gottes. Darum erinnert, wenn von diesem
Gehorsam die Rede ist, die Sprache der Jesuiten in manchem an die
Terminologie der Mystik: ‚Wer den Zustand des wahren Gehorsams
erreichen will, der muß seinen Willen ausziehen und den göttlichen
Willen, der ihm von seinem Oberen aufgelegt wird, anziehen.‘ ...
Sorgfältig unterscheidet Ignatius verschiedene Grade des Gehor-
sams: Die unterste Stufe, der rein äußerliche ‚Gehorsam der Tat‘ ,
besteht darin, daß der Untergebene sich darauf beschränkt, die ihm
aufgetragene Handlung zu vollführen; diesen Gehorsam bezeich-
net Ignatius als ‚sehr unvollkommen‘. Die zweite Stufe ist dadurch
gekennzeichnet, daß der Untergebene auch den Willen des Oberen
zu dem seinen macht; ‚diese Stufe verleiht bereits Freude am Ge-
horchen‘. Wer sich aber ganz dem Dienst Gottes opfern will, muß
‚außer dem Willen auch noch die Einsicht darbringen‘. Er muß dahin
gelangen, ‚daß er nicht nur das gleiche wolle, sondern auch das glei-
che denke wie der Obere, daß er sein Urteil dem seines Vorgesetzten
unterwerfe, soweit nur der ergebene Wille den Intellekt überhaupt
beugen kann‘.
Ignatius fordert somit nichts Geringeres als die Aufopferung des
eigenen Verstandes, den ‚schrankenlosen Gehorsam bis zum Opfer
der Überzeugung‘ ...
Der Jesuit soll, von äußerem Widerstand ganz zu schweigen,
nicht einmal innerlich irgendwelche Bedenken darüber aufkommen
lassen, ob der Vorgesetzte auch recht habe; er soll im vorhinein davon
überzeugt sein, daß das ihm Befohlene ‚zur höheren Ehre Gottes‘
diene, und soll es freudig, mit innerer Begeisterung ausführen.
Die Unbedingtheit des jesuitischen Gehorsams mußte aber als-
bald zu einem schweren Bedenken führen: Was soll geschehen,