Seite 85 - Der gro

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John Wiklif
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Wiklif erhielt eine gute Erziehung. Für ihn galt die Furcht des
Herrn als der Weisheit Anfang. Er war auf der Universität seiner
inbrünstigen Frömmigkeit, seiner hervorragenden Talente und seiner
gründlichen Gelehrsamkeit wegen bekannt. In seinem Wissensdrang
suchte er jeden Zweig der Wissenschaft kennenzulernen. Er wurde
mit den Gedanken der Scholastik, mit den Glaubensvorschriften
der Kirche und den bürgerlichen Gesetzen, besonders denen sei-
nes eigenen Landes, vertraut gemacht. In seiner späteren Arbeit trat
der Wert seiner genossenen Schulung klar zutage. Seine gründli-
che Kenntnis der spekulativen Philosophie seiner Zeit befähigte ihn,
deren Irrtümer bloßzustellen, und durch seine Studien der Landes-
und Kirchenrechte war er vorbereitet, sich an dem großen Kampf
um die bürgerliche und religiöse Freiheit zu beteiligen. Während
er die dem Wort Gottes entnommenen Waffen zu führen verstand,
hatte er sich auch die Geisteswelt der Schulen erarbeitet und war mit
der Kampfesweise der Gelehrten vertraut. Dank seiner natürlichen
Anlagen und dem Umfang und der Gründlichkeit seines Wissens
erwarb er sich die Achtung von Freund und Feind. Wiklifs Anhänger
sahen mit Genugtuung, daß er unter den tonangebenden Geistern der
Nation einen führenden Platz einnahm, und seinen Feinden war es
nicht möglich, die Sache der Erneuerung durch Bloßstellen irgend-
einer Unwissenheit oder Schwäche ihres Verteidigers in Verruf zu
bringen.
Noch auf der Universität nahm Wiklif das Studium der Heiligen
Schrift auf. In den damaligen Zeiten, als es nur Bibeln in den alten
Sprachen gab, waren allein die Gelehrten imstande, den Pfad zur
Quelle der Wahrheit zu finden, der den in den Sprachen ungebil-
deten Klassen verschlossen blieb. Somit war der Weg für Wiklifs
zukünftiges Werk als Reformator bereits gebahnt worden. Gelehrte
Männer hatten die Heilige Schrift studiert und die große Wahrheit
von der darin offenbarten freien Gnade Gottes gefunden. In ihrem
Unterricht hatten sie die Erkenntnis dieser Wahrheit ausgestreut und
andere veranlaßt, sich zu dem lebendigen Gotteswort zu kehren.
Als Wiklif seine Aufmerksamkeit auf die Heilige Schrift richtete,
machte er sich mit derselben Gründlichkeit an ihre Erforschung, die
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es ihm ermöglicht hatte, das Schulwissen zu meistern. Bisher hatte
er sich unbefriedigt gefühlt; dieses Gefühl des Unbefriedigtseins
konnte weder durch sein Studium noch durch die Lehren der Kirche