Seite 164 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
des Volkes die göttliche Wahrheit nicht an. Nikodemus verbarg die
Evangeliumsbotschaft drei Jahre in seinem Herzen, und sie trug
anscheinend wenig Frucht.
Aber der Heiland kannte den Boden, auf dem er den Samen aus-
gestreut hatte. Seine Worte, die er zur Nachtzeit auf dem einsamen
Berge zu nur einem Zuhörer gesprochen hatte, gingen nicht verloren.
Eine Zeitlang bekannte sich Nikodemus nicht öffentlich zu Jesus,
aber er beobachtete sein Leben und dachte über seine Lehren nach.
In den Sitzungen des Hohen Rates vereitelte er wiederholt manchen
Anschlag der Priester, der Jesus verderben sollte. Als schließlich
der Heiland am Kreuz erhöht wurde, erinnerte sich Nikodemus der
Worte auf dem Ölberg: „Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht
hat, so muß des Menschen Sohn erhöht werden, auf daß alle, die
an ihn glauben, das ewige Leben haben.“
Johannes 3,14.15
. Das
Licht jener verschwiegenen Unterredung umleuchtete das Kreuz von
Golgatha, und Nikodemus sah in Jesus den Erlöser der Welt.
Als nach der Himmelfahrt des Herrn die Jünger durch die Ver-
folgungen zerstreut wurden, trat Nikodemus unerschrocken in den
Vordergrund. Er verwandte sein ganzes Vermögen zur Unterstüt-
zung der jungen Gemeinde, die die Juden mit dem Tode Christi als
ausgetilgt betrachteten. In den gefahrvollen Zeiten stand er, der sich
vorher so überaus vorsichtig und abwartend verhalten hatte, fest und
unerschüttert wie ein Fels im Meer; er ermutigte den Glauben der
Jünger und gab seine Mittel zur Ausbreitung des Evangeliums. Er
wurde von denen, die ihn in früheren Jahren geehrt und geachtet hat-
ten, verhöhnt und verfolgt. Er verlor seine irdische Habe; doch sein
Glaube, der in jener nächtlichen Unterredung mit Jesus begonnen
hatte, schwankte nicht.
Nikodemus erzählte Johannes die Geschichte jenes Gespräches,
und dieser schrieb sie zur Lehre aller Menschen nieder. Noch heute
sind diese Wahrheiten ebenso wichtig wie in jener ernsten Nacht auf
dem von Finsternis eingehüllten Berg, in der der jüdische Oberste
kam, um von dem einfachen Lehrer aus Galiläa den Weg des Lebens
kennenzulernen.
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