Seite 240 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
bekannt war, daß der große Lehrer selber unter ihnen weilte, wurde
die ganze Stadt wach. Eine gewaltige Menschenmenge strömte zu
ihm. Am Sabbat war die Synagoge überfüllt, so daß viele wieder
weggehen mußten, da sie keinen Platz mehr fanden.
Alle, die den Heiland hörten, „verwunderten sich seiner Lehre;
denn er predigte in Vollmacht“.
Lukas 4,32
. „Er lehrte mit Vollmacht
und nicht wie ihre Schriftgelehrten.“
Matthäus 7,29
. Die Lehre der
Schriftgelehrten und Ältesten war kalt und formell und hörte sich
wie eine routinemäßig auswendig gelernte Lektion an. Für sie besaß
das Wort Gottes keine Lebenskraft. Statt dessen wurden ihre eigenen
Ideen und Traditionen gelehrt. Sie taten ihren Dienst in gewohnter
Weise und gaben vor, das Gesetz zu erklären, aber keine Eingebung
von Gott bewegte ihre eigenen Herzen oder die Herzen ihrer Zuhörer.
Jesus gab sich nicht mit den verschiedenen, unter den Juden
strittigen Themen ab. Es war seine Aufgabe, die Wahrheit zu ver-
kündigen. Seine Worte erhellten die Lehren der Patriarchen und
Propheten, und die heiligen Schriften kamen den Menschen wie
eine neue Offenbarung vor. Nie zuvor hatten seine Hörer im Worte
Gottes einen solch tiefen Sinn wahrgenommen.
Jesus begegnete den Menschen, indem er sich in deren Lage
versetzte, als einer, der mit ihren Nöten vertraut war. Er ließ die
Schönheit der Wahrheit hervortreten, indem er sie auf die unmit-
telbarste und einfachste Weise darlegte. Seine Sprache war rein,
gewählt und klar wie das Wasser eines sprudelnden Baches. Sei-
ne Stimme klang jenen, die den eintönigen Reden der Rabbiner
zugehört hatten, wie Musik in den Ohren. So einfach seine Lehre
war, sprach er doch mit Vollmacht. Dieses Merkmal hob seine Art
zu lehren ganz entschieden von der aller anderen ab. Die Rabbi-
ner ließen Zweifel und ein Sowohl-Alsauch anklingen, als könnten
die Schriftstellen auch völlig gegensätzlich ausgelegt werden. Die
Zuhörer wurden dadurch jeden Tag in immer größere Unsicherheit
gestürzt. Für Jesus aber waren die Schriften, aus denen er lehrte,
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von unbestreitbarer Autorität. Was auch immer das Anliegen sein
mochte — er sprach davon mit Vollmacht, als wenn seinen Worten
nicht widersprochen werden könnte.
Er sprach mit großem Ernst, ohne heftig zu werden. Er sprach
als einer, der eine bestimmte Absicht verfolgte. Er machte die Wirk-
lichkeiten der ewigen Welt sichtbar. In jedem Thema wurde Gott