Seite 248 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
ihn von seinem Wirken wegzuziehen. Den ganzen Tag hindurch
arbeitete er; er belehrte die Unwissenden, heilte die Kranken, gab den
Blinden ihr Augenlicht zurück, speiste die Menge, und am Abend
oder am frühen Morgen ging er in die heilige Stille der Berge, um mit
seinem himmlischen Vater Zwiesprache zu halten. Oft verbrachte er
die ganze Nacht im Gebet und in ernstem Nachdenken und kehrte
erst bei Tagesanbruch wieder an seine Aufgabe unter den Menschen
zurück.
In den ersten Morgenstunden des nächsten Tages kamen Petrus
und seine Gefährten zu Jesus und berichteten ihm, daß er von den
Einwohnern Kapernaums gesucht würde. Die Jünger waren schon
über den Empfang sehr enttäuscht gewesen, der ihrem Herrn bisher
zuteil geworden war. Die Behörden in Jerusalem suchten ihn zu
töten, selbst die Nazarener hatten sein Leben bedroht. Nun wurde
er in Kapernaum mit freudiger Begeisterung willkommen geheißen.
Das erfüllte die Jünger mit neuer Hoffnung. Vielleicht ließen sich
unter den freiheitsliebenden Galiläern die Stützen des neuen Reiches
finden. Mit Erstaunen hörten sie deshalb Jesu Worte: „Ich muß auch
den andern Städten das Evangelium verkündigen vom Reich Gottes;
denn dazu bin ich gesandt.“
Lukas 4,43
.
In der in Kapernaum herrschenden Erregung lag die Gefahr, daß
das Ziel seines Auftrags verlorenging. Es befriedigte Jesus nicht, die
Aufmerksamkeit der Menschen als Wundertäter oder Wunderheiler
auf sich zu lenken. Er wollte sie vielmehr als ihr Heiland zu sich
ziehen. Während das Volk begierig war zu glauben, daß er als König
gekommen sei, um ein irdisches Reich zu gründen, wünschte er ihre
Gedanken von dem Irdischen auf das Geistliche zu lenken. Ein rein
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weltlicher Erfolg hätte seine Aufgabe beeinträchtigt.
Die Bewunderung der sorglosen Menge berührte ihn recht un-
angenehm. Sein Leben war frei von jeder Anmaßung. Die Huldi-
gungen, die die Welt den Hohen, Reichen und Begabten darbringt,
waren dem Menschensohn fremd. Er bediente sich nicht der Mittel,
die Menschen so gern anwenden, um Anhänger zu gewinnen und
Huldigungen zu erringen. Jahrhunderte vor seiner Geburt war von
ihm geweissagt worden: „Er wird nicht schreien noch rufen, und
seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte
Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er
nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird