Seite 26 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
tes zu verfälschen und den Glauben Israels in Verruf zu bringen. Er
hoffte, beweisen zu können, was er bei seinem Aufruhr im Himmel
behauptet hatte, nämlich daß Gottes Forderungen ungerecht seien
und man ihnen nicht gehorchen könne. Selbst die Kinder Israel, so
versicherte er, hielten das Gesetz nicht.
Die Juden sehnten zwar die Ankunft des Messias herbei, aber sie
hatten dennoch keine richtige Vorstellung von seiner Aufgabe. Sie
wollten nicht von ihrer Sündenschuld erlöst, sondern vom Römerjoch
befreit werden und hielten nach einem Messias Ausschau, der als
Eroberer kommen, die Macht ihrer Unterdrücker zerbrechen und
Israel zur Weltherrschaft verhelfen sollte. So wurde der Weg für sie
bereitet, den Heiland zu verwerfen.
Zur Zeit der Geburt Christi härmte sich das Volk unter der Fremd-
herrschaft ab, außerdem war es von innerem Hader zerrissen. Ob-
wohl den Juden erlaubt worden war, eine eigene Regierung zu behal-
ten, konnte nichts die Tatsache verbergen, daß sie von den Römern
unterjocht wurden und daß sie sich mit der Beschneidung der eige-
nen Macht nicht abfinden konnten. Die Römer behielten sich das
Recht vor, den Hohenpriester zu ernennen und abzusetzen. Oftmals
erhielt man dieses Amt nur durch List, Bestechung, ja sogar durch
Mord. Dadurch griff die Korruption unter den Priestern immer stär-
ker um sich. Doch noch übten sie eine große Macht aus, die sie für
selbstsüchtige und gewinnträchtige Ziele einsetzten. Das Volk war
ihren hartherzigen Forderungen ausgeliefert und mußte außerdem
noch hohe Steuern an die Römer zahlen. Deshalb herrschte über-
all Unzufriedenheit. Häufig kam es zu Volksaufständen. Geldgier
und Gewalttat, Mißtrauen und Gleichgültigkeit im religiösen Leben
zehrten am Mark des Volkes.
Haß auf die Römer, nationaler Stolz und geistlicher Hochmut
ließen die Juden noch immer streng den religiösen Formen anhan-
gen. Die Priester versuchten, den Schein der Heiligkeit aufrecht-
zuerhalten, indem sie peinlich genau die kultischen Vorschriften
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beachteten. Das bedrängte und in geistlicher Finsternis lebende Volk
wie auch seine machthungrigen Beherrscher ersehnten den Einen,
der die Feinde besiegen und das Königreich Israel wiederherstellen
würde. Die Weissagungen hatten sie erforscht, doch ohne geistli-
che Erleuchtung. Sie übersahen daher jene Schriftworte, die auf
die Erniedrigung Christi bei seiner ersten Ankunft hinwiesen, und