Seite 29 - Das Leben Jesu (1973)

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„Als aber die Zeit erfüllet ward ...“
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„Als ... die Zeit erfüllet ward, sandte Gott seinen Sohn.“
Galater
4,4
. Er hatte in seiner Vorsehung die Bewegungen der Völker, die
Wogen menschlicher Bestrebungen und Einflüsse gelenkt, bis die
Welt für das Kommen des Erlösers reif war. Damals waren die
Völker unter einer Herrschaft vereinigt; sie redeten allgemein eine
Sprache, die auch überall als Schriftsprache galt. Von weither kamen
die zerstreut wohnenden Juden nach Jerusalem, um gemeinsam die
jährlichen Feste zu feiern. So konnten sie auch nach der Rückkehr
in ihre Heimatorte überall die Kunde von der Ankunft des Messias
verbreiten.
Zu der gleichen Zeit ließ der Einfluß des Heidentums auf das
Volk nach. Man war des großartigen heidnischen Gepränges und der
Fabeln überdrüssig geworden und sehnte sich nach einer Religion,
die das Herz befriedigen konnte. Wohl schien das Licht der Wahrheit
von den Menschen gewichen, doch gab es immer noch Seelen, die
nach diesem Licht verlangten und die mit Sorge und Unruhe erfüllt
waren. Diese Seelen hungerte und dürstete nach der Erkenntnis des
lebendigen Gottes, und sie sehnten sich nach der Gewißheit eines
Lebens jenseits des Grabes.
Die Juden hatten sich von Gott abgewandt; der Glaube war
verblaßt und die Hoffnung auf das ewige Heil fast erloschen. Man
verstand die Worte der Propheten nicht mehr. Dem größten Teil des
Volkes war der Tod ein schreckliches Geheimnis; die Vorstellungen
über das Jenseits waren dunkel und ungewiß. Man hörte nicht nur
das Klagen der Mütter von Bethlehem, sondern es erfüllte sich, „was
gesagt ist von dem Propheten Jeremia, der da spricht: ‚Zu Rama hat
man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Heulen; Rahel beweinte
ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit
ihnen.‘“
Matthäus 2,17.18
. Ohne Trost saßen die Juden „am Ort und
Schatten des Todes“.
Matthäus 4,16
. Sehnsuchtsvoll schauten sie
nach dem Erlöser aus, dessen Erscheinen die Dunkelheit vertreiben
und das Geheimnis der Zukunft offenbaren sollte.
Außerhalb des jüdischen Volkes gab es Angehörige fremder
Stämme, die das Erscheinen eines göttlichen Lehrers vorhersag-
ten. Diese suchten ernstlich die Wahrheit, und darum schenkte Gott
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ihnen den Geist der Weissagung. Gleich Sternen am dunklen Nacht-
himmel waren solche Lehrer, einer nach dem andern, aufgetaucht.