Seite 319 - Das Leben Jesu (1973)

Basic HTML-Version

Wer sind meine Brüder?
315
Verhalten und ihre Worte sein Herz. So quälten sie sein empfindsa-
mes Wesen, mißverstanden seine Beweggründe und begriffen sein
Wirken nicht.
Seine Brüder stützten sich oft auf die Lehrmeinungen der Pha-
risäer, die fadenscheinig und veraltet waren, und maßten sich an,
den etwas lehren zu können, der alle Wahrheiten verstand und alle
Geheimnisse durchschaute. Dreist verdammten sie, was sie nicht
verstehen konnten. Ihre Vorwürfe verletzten Jesus bis ins Innerste;
seine Seele war beschwert und tiefbetrübt. Sie bekannten offen ihren
Glauben an Gott und meinten, für Gott einzutreten. Dabei war er
unter ihnen als Mensch, aber sie erkannten ihn nicht.
Diese Dinge machten seinen Weg dornig. Christus litt so
schmerzlich unter der irrigen Auffassung seiner Angehörigen, daß
es für ihn eine Erquickung bedeutete, dorthin zu gehen, wo er auf
Verständnis stieß. Besonders ein Heim besuchte er gern, das Heim
der Geschwister Lazarus, Maria und Martha. In der Atmosphäre
ihres Glaubens und ihrer Liebe fand sein Geist Ruhe. Trotzdem ver-
mochte niemand auf der Erde seinen göttlichen Auftrag wirklich zu
begreifen oder die Last, die er für die Menschheit trug, nachzuemp-
finden. Deshalb fand er Stärkung oftmals im Alleinsein und in der
Gemeinschaft mit seinem himmlischen Vater.
Wer immer um Christi willen leiden muß und sogar in seiner
eigenen Familie auf Verständnislosigkeit und Mißtrauen stößt, mag
sich mit dem Gedanken trösten, daß Jesus das gleiche ertragen hat
und mit uns fühlt. Er bittet uns, mit ihm Gemeinschaft zu pflegen
und uns dort zu erquicken, wo auch er Erquickung fand: in der
Verbundenheit mit dem Vater.
Alle, die Christus als ihren persönlichen Heiland annehmen, sind
keine verlassenen Waisen, die die Anfechtungen des Lebens allein
bestehen müssen. Er nimmt sie als Mitglieder in die himmlische Fa-
milie auf und bittet sie, seinen Vater auch ihren Vater zu nennen. Sie
sind seine „Kleinen“; sie sind dem Herzen Gottes teuer und mit ihm
durch die innigsten und festesten Bande verknüpft. Er liebt sie mit
überaus großer Freundlichkeit, ja, weit mehr, als unsere Väter und
[318]
Mütter uns in unserer Hilflosigkeit geliebt haben. So hoch erhaben
ist das Göttliche über dem Menschlichen.
In den Gesetzen wurde Israel ein herrliches Bild über das Ver-
hältnis Christi zu seinem Volk gegeben. Wenn ein Hebräer durch