Seite 360 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
hatten stundenlang gestanden, da sie von Jesu Worten so ergriffen
waren, daß sie nicht daran gedacht hatten, sich zu setzen; auch war
das Gedränge derart groß, daß die Gefahr bestand, einander zu treten.
Jesus wollte ihnen Gelegenheit geben, zu ruhen, und forderte sie auf,
sich zu setzen. Es wuchs reichlich Gras dort, und alle konnten sich
bequem lagern.
Der Heiland wirkte nur dann ein Wunder, wenn einem wirkli-
chen Bedürfnis abzuhelfen war. Jedes Wunder diente dazu, das Volk
zu dem Baum des Lebens zu führen, dessen Blätter die Menschen
gesunden lassen. Die Speise, die von den Jüngern ausgeteilt wur-
de, enthielt eine große geistliche Lehre. Es war ein bescheidenes
Mahl: Fische und Gerstenbrot. Sie bildeten die tägliche Nahrung
der Fischer am Galiläischen Meer. Christus hätte dem Volk eine
reiche Tafel decken können; aber eine Nahrung, die lediglich dem
Gaumenkitzel diente, würde wenig nützliche Lehre für sie enthalten
haben. Der Heiland aber wollte durch diese Speisung zeigen, daß
die natürliche Vorsorge Gottes für den Menschen verfälscht worden
war. Noch nie haben Menschen die größten Delikatessen, die für den
verwöhntesten Geschmack aufgetischt wurden, mehr Genuß bereitet
als die Ruhe und diese einfache Speise, die Christus ihnen, fernab
aller menschlichen Behausungen, verschaffte.
Huldigten die Menschen heute einfachen Gewohnheiten und
lebten sie in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen wie einst die
ersten Menschen im Paradies, dann könnten alle Bedürfnisse der
menschlichen Familie leicht befriedigt werden. Es würde weniger
scheinbare Mängel geben und mehr Gelegenheit vorhanden sein,
nach Gottes Weise zu leben. Nur Eigennutz und unnatürlicher Ge-
schmack haben Sünde und Elend in die Welt gebracht durch Überfluß
auf der einen und Mangel auf der andern Seite.
Jesus wollte das Volk nicht dadurch an sich ziehen, daß er das
Verlangen nach Wohlleben befriedigte. Jener großen, müden und
hungrigen Menge war die einfache Kost nach dem langen und aufre-
genden Tag nicht nur eine Versicherung seiner Macht, sondern auch
seiner barmherzigen Fürsorge in den allgemeinen Bedürfnissen ihres
Lebens. Der Heiland hat seinen Nachfolgern nicht die Leckerbis-
sen der Welt versprochen. Ihre Speise mag einfach, vielleicht sogar
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dürftig sein; ihr ganzes Leben mag in Armut dahingehen; er aber
hat sein Wort gegeben, daß für alle ihre Nöte gesorgt werden soll,