Seite 370 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Sie erkennen in ihm eine Macht, die über aller irdischen Gewalt
steht, und unterwerfen sich ohne jede Frage.
Als Jesus allein war, „ging er hin auf einen Berg, zu beten“.
Mar-
kus 6,46
. Stundenlang flehte er zu Gott. Seine ernsten Bitten galten
nicht sich selbst, sondern den Menschen. Er betete um Kraft, den
Menschen den göttlichen Charakter seiner Sendung zu offenbaren,
damit Satan ihr Verständnis nicht blind machen und ihr Urteil irrelei-
ten könne. Der Heiland wußte genau, daß die Zeit seines irdischen
Wirkens bald vorüber wäre und daß nur wenige ihn als ihren Erlö-
ser annehmen würden. In bitterem Schmerz und tiefem seelischem
Ringen betete er für seine Jünger, denen noch schwere Prüfungen
bevorstanden. Ihre lang gehegten Hoffnungen, die sich auf einen im
Volk allgemein verbreiteten Irrtum gründeten, würden in schmerzli-
cher und demütigender Weise zunichte werden. Statt seine Erhebung
auf den Thron Davids würden sie seine Kreuzigung schauen. Dies
wäre seine wahre Krönung; aber die Jünger würden auch das nicht
erkennen. Darum kämen kräftige Versuchungen über sie, die sie
aber schwerlich als solche ansähen. Ohne den Heiligen Geist zur
Erleuchtung ihrer Sinne und zur Erweiterung ihres Verständnisses
mußte ihr Glaube unterliegen. Es schmerzte den Heiland, daß sich
ihre Vorstellungen von seinem Reich in so bedeutendem Maße auf
weltliche Erhöhungen und Ehren beschränkten; die Sorge für sie
lastete schwer auf seinem Herzen, und in bitterem Schmerz und
unter heißen Tränen brachte er seine Bitten zu Gott.
Die Jünger hatten ihr Boot nicht gleich vom Ufer abgestoßen,
wie es ihnen von Jesus geboten worden war. Sie warteten noch einige
Zeit in der Hoffnung, daß er nachkäme. Als aber die Dunkelheit der
Nacht schnell hereinbrach, traten sie „in das Schiff und kamen über
das Meer nach Kapernaum“.
Johannes 6,17
. Sie hatten Jesus mit
unbefriedigtem Herzen verlassen und waren ungeduldiger über ihn
als je zuvor, seit sie ihn als ihren Herrn anerkannt hatten. Sie murrten,
weil es ihnen nicht geglückt war, ihn als König auszurufen, und sie
machten sich Vorwürfe, seinem Befehl so schnell nachgekommen
zu sein, da sie vielleicht doch ihre Absicht erreicht hätten, wenn sie
entschiedener aufgetreten wären.
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Unglaube erfüllte ihr Herz und ihr Gemüt; die Liebe nach welt-
licher Ehre hatte sie verblendet. Sie wußten, daß Jesus von den
Pharisäern gehaßt wurde, und sie waren eifrig darauf bedacht, ihn