Seite 397 - Das Leben Jesu (1973)

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Die Schranken werden niedergerissen
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sondern ein Kind in der Familie Gottes. Als solche hat sie auch das
Recht, an den Gaben des Vaters teilzuhaben. Christus erfüllt ihre
Bitte und beendet damit auch die Belehrung für seine Jünger. Er
blickt die Frau freundlich an und sagt ihr: „O Weib, dein Glaube
ist groß. Dir geschehe, wie du willst!“
Matthäus 15,28
. Von diesem
Augenblick an war ihre Tochter gesund, und der böse Geist plagte
sie nicht mehr. Die Mutter aber ging dankbar und frohen Herzens
hinweg und bekannte Jesus als ihren Heiland.
Dies war das einzige Wunder, das Jesus während dieser Reise
wirkte. Nur um diese Tat vollbringen zu können, war er nach Tyrus
und Sidon gegangen. Er wollte die betrübte Frau trösten. Gleichzeitig
wollte er seinen Jüngern für die Zeit, da er nicht mehr bei ihnen
sein würde, ein Beispiel seiner Barmherzigkeit an einem Menschen
eines verachteten Volkes geben. Er wünschte die Jünger aus ihrer
jüdischen Enge und Abgeschlossenheit herauszuführen und in ihnen
die Freude am Dienst über die Grenzen des eigenen Volkes hinaus
zu wecken.
Jesus wollte gern das tiefe Geheimnis der Wahrheit enthüllen,
das Jahrhundertelang verborgen geblieben war, daß nämlich die Hei-
den mit den Juden Erben sein sollten, „Mitgenossen der Verheißung
in Christus Jesus ... durch das Evangelium“.
Epheser 3,6
. Diese
Wahrheit lernten die Jünger nur langsam, und der göttliche Lehrer
erteilte ihnen darin eine Lektion nach der anderen. Als er den Glau-
ben des Hauptmanns von Kapernaum belohnte und den Bewohnern
Sichems das Evangelium predigte, hatte er bereits gezeigt, daß er die
Unduldsamkeit der Juden nicht mitmachte. Immerhin, die Samariter
besaßen einige Gotteserkenntnis, und der Hauptmann hatte Israel
gegenüber wohlwollen gezeigt; jetzt aber brachte Jesus die Jünger
mit einer Heidin in Verbindung, die — wie sie meinten — genau-
sowenig wie irgend jemand anders ihres heidnischen Volkes eine
Gunst von ihm erwarten könnte. Der Herr wollte ein Beispiel geben,
wie solch ein Mensch zu behandeln sei, hatten doch die Jünger ge-
dacht, daß er das Geschenk seiner Gnade zu großzügig verteilte. Er
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wollte ihnen zeigen, daß seine Liebe nicht auf eine Rasse oder eine
Nation begrenzt sei.
Als Christus sagte: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Scha-
fen des Hauses Israel“ (
Matthäus 15,24
), gab er den Jüngern eine
tiefe Lehre. Durch die Wundertat an dem kanaanäischen Weibe