Seite 415 - Das Leben Jesu (1973)

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Im Schatten des Kreuzes
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sich genommen. Ihn verlangte nicht nach dem Himmel, solange wir
Sünder verloren waren; er vertauschte die himmlischen Höfe gegen
ein Leben der Schmach und tiefsten Beleidigungen; er litt um unsert-
willen den Tod der Schande. Er, der reich war an den unschätzbaren
Gütern des Himmels, wurde arm, damit wir durch seine Armut reich
würden. Wir aber müssen den Weg gehen, den auch er ging.
Menschen zu lieben, für die Jesus gestorben ist, heißt das eigene
Ich zu kreuzigen. Wer ein Kind Gottes ist, sollte sich als Glied einer
Kette fühlen, die vom Himmel bis auf die Erde herabreicht, um die
Welt zu retten. Er sollte eins sein mit Christus in seinem Gnadenplan
und mit ihm vorangehen, zu suchen und selig zu machen, was verlo-
ren ist. Der Christ muß stets erkennen, daß er sich Gott geweiht hat
und daß er nun durch seinen Charakter das Wesen Gottes der Welt
offenbaren soll. Die opferbereite Hingabe, die Teilnahme und Liebe,
die das Leben Christi kennzeichneten, müssen auch im Leben der
Nachfolger Christi sichtbar werden.
„Wer sein Leben erhalten will, der wird‘s verlieren; wer aber
sein Leben verliert um meinetwillen, der wird‘s finden.“
Matthäus
16,25
. Selbstsucht bedeutet Tod! Kein Organ des Körpers könnte
leben, wenn es seine Wirksamkeit nur auf sich selbst beschränken
wollte. Würde das Herz sein Lebensblut nicht in Hand und Kopf
leiten, verlöre es bald seine Kraft. Wie unser Blut, so durchdringt
die Liebe Christi alle Teile seines geheimnisvollen Leibes. Wir sind
untereinander Glieder; jede Seele, die sich weigert, den andern als
Bruder anzusehen, wird umkommen. „Was hülfe es dem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner
Seele? Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder
löse?“
Matthäus 16,26
.
Über seine gegenwärtige Armut und Demütigung hinaus richtete
Jesus den Blick seiner Jünger auf sein Kommen in Herrlichkeit; nicht
in der Pracht einer irdischen Krone, sondern mit göttlicher Herrlich-
keit und inmitten der himmlischen Heerscharen; „alsdann wird er
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einem jeglichen vergelten nach seinen Werken“.
Matthäus 16,27
.
Zu ihrer Ermutigung gab er ihnen noch die Verheißung: „Wahrlich,
ich sage euch: Es stehen etliche hier, die nicht schmecken werden
den Tod, bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in seinem
Reich.“
Matthäus 16,28
. Doch die Jünger verstanden ihn nicht. Die
Herrlichkeit, von der Jesus sprach, schien ihnen weit entfernt; ihre