Seite 424 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Die vorher so lauten und kühnen Reden verstummten jetzt;
drückende Stille lag über der ganzen Versammlung. Da bahnte sich
der Vater des Besessenen einen Weg durch die Menge, fiel dem
Herrn zu Füßen und klagte ihm seinen ganzen Kummer und seine
Enttäuschung.
„Meister“, sagte er, „ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir,
der hat einen sprachlosen Geist. Und wo er ihn erwischt, so reißt er
ihn ... Ich habe mit deinen Jünger geredet, daß sie ihn austrieben,
und sie konnten es nicht.“
Markus 9,17.18
.
Jesus blickte auf die ehrfürchtig schweigende Menge, auf die
heuchlerischen Schriftgelehrten und die verwirrten Jünger; er las
Unglauben in aller Herzen und sagte schmerzerfüllt: „O du ungläu-
biges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll
ich euch ertragen?“ Er gebot dem betrübten Vater: „Bringet ihn her
zu mir!“
Markus 9,19
.
Der Knabe wurde gebracht. Sobald der Blick des Heilandes
auf ihn fiel, warf der unreine Geist den Knaben in schmerzhaften
Zuckungen zur Erde; dieser wälzte sich, schäumte und erfüllte die
Luft mit gräßlichen Schreckenslauten.
Wieder standen sich der Herr des Lebens und der Fürst der Mäch-
te der Finsternis gegenüber — Christus bei der Erfüllung seines
Dienstes, „zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und
den Blinden, daß sie sehend werden, und den Zerschlagenen, daß sie
frei und ledig sein sollen“ (
Lukas 4,18
), und Satan, der versuchte,
seine Beute in seiner Gewalt zu behalten. Engel des Lichts und Scha-
ren böser Geister drängten sich ungesehen heran, um dem Kampf
zuzuschauen. Für Augenblicke erlaubte Jesus dem bösen Geist, sei-
ne Macht zu entfalten, damit die anwesende Menge das folgende
Erlösungswerk besser erfassen konnte.
Die Menge schaute mit angehaltenem Atem auf das Schauspiel,
das sich ihren Augen bot; im Herzen des Vaters wechselten Furcht
mit Hoffnung. Jesus fragte: „Wie lange ist‘s, daß ihm das wider-
fährt?“ Und der Vater berichtete von vielen Jahren des Leidens und
der Not; dann rief er in höchster Verzweiflung: „Kannst du aber was,
so erbarme dich unser und hilf uns!“
Markus 9,21.22
. Durch die
Worte „Kannst du aber was“ zeigte auch der Vater, daß er an der
Macht Christi zweifelte.
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