Seite 423 - Das Leben Jesu (1973)

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Fähig zum Dienst
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Als das in der Ebene versammelte Volk den Heiland kommen
sah, liefen viele ihm entgegen und begrüßten ihn mit größter Ehr-
furcht und Freude; dennoch bemerkte Jesus sofort, daß die Leute
sehr verlegen und unruhig waren. Auch die Jünger schienen nie-
dergeschlagen zu sein. Das war auf ein Ereignis zurückzuführen,
das sich soeben zugetragen und ihnen bittere Enttäuschung und
Demütigung beschert hatte.
Während sie am Fuße des Berges warteten, hatte ein Vater seinen
Sohn zu ihnen gebracht, damit sie diesen von einem bösen Geist,
der ihn sehr quälte, befreiten. Jesus hatte den Jüngern Macht über
unreine Geister verliehen, als er die Zwölf aussandte, in Galiläa zu
predigen. Solange sie glaubensstark die ihnen aufgetragene Aufgabe
ausführten, gehorchten die Geister ihrem Wort. Auch jetzt geboten
sie dem bösen Geist in Jesu Namen, sein Opfer zu verlassen; aber
der Dämon spottete ihrer nur durch eine größere Entfaltung seiner
Macht. Die Jünger konnten sich ihre Niederlage nicht erklären und
erkannten, daß sie sich und ihrem Meister einen schlechten Dienst
erwiesen hatten. Unter der Menge befanden sich Schriftgelehrte,
die diese Gelegenheit benutzten, um die Jünger zu demütigen. Sie
drängten sich an die Apostel heran, verwickelten sie in schwierige
Fragen und versuchten zu beweisen, daß sie und ihr Meister Betrüger
seien; hier, erklärten die Rabbiner triumphierend, sei ein böser Geist,
den weder die Jünger noch Christus selbst besiegen könnten. Die
Gunst des Volkes neigte sich auf die Seite der Schriftgelehrten, und
Verachtung und Spott für die Jünger erfüllte die Menge.
Aber plötzlich verstummten die Anklagen. Jesus und seine drei
Gefährten hatten sich dem Volk genähert, und nun ging die Men-
ge ihm in überraschend schnellem Gefühlsumschwung entgegen.
Die letzte Nacht hatte durch die Gemeinschaft mit der himmlischen
Herrlichkeit bei dem Heiland und seinen Begleitern ihre Spuren
hinterlassen. Auf ihren Angesichtern ruhte ein Glanz, der den Beob-
achtern Ehrfurcht abnötigte. Die Rabbiner zogen sich scheu zurück,
das Volk aber hieß den Herrn willkommen.
Jesus ging erstaunlicherweise zuerst auf den Besessenen zu, als
hätte er das eben Geschehene miterlebt, richtete dann seinen Blick
auf die Schriftgelehrten und sagte: „Was streitet ihr euch mit ihnen?“
Markus 9,16
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